Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme einer sozialversicherungsrechtlichen Statusentscheidung. begünstigender Verwaltungsakt. Rechtsbehelfsverfahren. Rechtsgrundlage. Vereinbarung der Versicherungsträger über den Verzicht von Rechtsbehelfsbelehrungen. Ermessensausübung. Abwägung der widerstreitenden Interessen auch bei Drittbetroffenheit
Orientierungssatz
1. Die Regelung des § 49 SGB 10 stellt keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung oder Rücknahme von Verwaltungsakten dar, da sie selbst keine tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür enthält. Sie beseitigt somit nicht die Eigenschaft von § 45 SGB 10 als Ermächtigungsgrundlage, sondern schränkt lediglich den Bestandsschutz des Begünstigten im Interesse des Drittbetroffenen ein, indem die Prüfung der in § 45 Abs. 2 bis 4 SGB 10 geregelten Vertrauensschutz- und Fristvorschriften ausgeschlossen wird (Anschluss an BSG vom 25.2.2010 - B 13 R 147/08 R = SozR 4-2600 § 243 Nr 4).
2. Eine Vereinbarung der Versicherungsträger über den Verzicht von Rechtsbehelfsbelehrungen bei der Bekanntgabe von Statusentscheidungen gegenüber drittbetroffenen Fremdversicherungsträgern kann weder zwingendes Gesetzesrecht (§ 66 Abs. 2 SGG) ausschließen noch ist ihr ein wechselseitiger Verzicht auf die Rechte aus § 66 Abs. 2 SGG zu entnehmen.
3. Sinn und Zweck des § 49 SGB X ist allein, den Bestandsschutz des Begünstigten im Interesse von Drittbetroffenen einzuschränken, um diesen nicht von vornherein jede Rechtsschutzmöglichkeit zu nehmen. Diesem Zweck wird hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Vertrauens- und Fristvorschriften der Absätze 2 bis 4 des § 45 SGB X nicht gelten. Für einen darüber hinaus gehenden Ausschluss auch der Regelungen über die Ermessensausübung gibt es jedoch keinen sachlichen Grund. Vielmehr würde dadurch der Drittbetroffene gegenüber dem zunächst Begünstigten unangemessen begünstigt, wofür eine sachliche Rechtfertigung nicht ersichtlich ist. Wenn bei einer Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X grundsätzlich eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erfolgen soll, ist nicht erkennbar, warum dies im Falle einer Drittbetroffenheit von vornherein ausgeschlossen sein sollte.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. September 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, ihre zunächst erfolgte Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status der Klägerin zurückzunehmen.
Die 1953 geborene Klägerin übt seit 1993 eine Beschäftigung bei der U. aus, in der sie wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt. Im Jahr 1997 gründete sie zusammen mit ihrem Ehemann die Beigeladene zu 3), wobei sie 40 % und ihr Ehemann 60 % des Stammkapitals übernahmen. Sie schloss sodann mit der Beigeladenen zu 3) für die Zeit ab 1. November 1997 einen Anstellungsvertrag für eine Teilzeittätigkeit im Bereich Buchhaltung, Personalangelegenheiten und sonstige qualifizierte Aufgaben mit einer monatlichen Arbeitszeit von 32 Stunden. Die Vergütung betrug zunächst DM 608. Für die Zeit ab 1. April 2005 wurde ein neuer Anstellungsvertrag mit gleichem Aufgabengebiet und einer monatlichen Arbeitszeit von 30 Stunden sowie einer Vergütung von € 425 monatlich vereinbart.
Im Mai 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten als zuständiger Einzugsstelle die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung dieser Tätigkeit und gab an, weisungsfrei und gleichberechtigt für das gemeinsame Familienunternehmen zu arbeiten. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens habe sie in den Jahren 2003/2004 teilweise unentgeltlich gearbeitet.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 12. Juni 2006 fest, dass die Klägerin nicht versicherungspflichtig in der Renten- und Arbeitslosenversicherung sei. Daraufhin beantragte die Klägerin bei den Beigeladenen zu 1) und 2) die Erstattung ihrer zu Unrecht gezahlten Beiträge. Die Beigeladene zu 2) nahm die Erstattung vor, während die Beigeladene zu 1) gegenüber der Beklagten Einwände gegen die getroffene Entscheidung erhob und die hierfür maßgeblichen Unterlagen anforderte. Diese wurden ihr unter dem 10. August 2006 übersandt, woraufhin sie der Beklagten mitteilte, dass sie vom Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgehe. Da die Beklagte bei ihrer bisherigen Rechtsauffassung blieb, erhob die Beigeladene zu 1) am 24. Oktober 2006 beim Sozialgericht Berlin Klage gegen den Bescheid vom 12. Juni 2006 (S 82 KR 3114/06). Im Laufe dieses Verfahrens schloss sich die Beklagte der Auffassung der Beigeladenen zu 1) an und hörte die Klägerin mit Schreiben vom 27. Juni 2007 unter Hinweis auf § 49 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - So...