Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der sog. Abfärberegelung: Ergänzungsbeschluss zum Vorlagebeschluss an das BVerfG
Leitsatz (redaktionell)
- Der Senat bleibt dabei, dass die Abfärberegelung (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und deshalb verfassungswidrig ist.
- Es steht einem Gericht nicht zu, den Willen des Gesetzgebers durch eine Gestaltungsempfehlung zu konterkarieren.
- Das Ausgliederungsmodell kann die Abfärberegelung nicht rechtfertigen.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 3 Nr. 1; GG Art. 3
Streitjahr(e)
1988
Verfahrensgang
Nachgehend
Gründe
Die Dritte Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 26.10.2004 (Az: 2 BvR 246/98, FR 2005, 139, mit Kommentar von Kanzler, a.a.O., 140; vorhergehend BFH, BStBl. II 1998, 254 und FG Düsseldorf, EFG 1997, 225; nachfolgend: Kammerbeschluss) eine Verfassungsbeschwerde, mit der geltend gemacht wurde, dass die Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, nicht zur Entscheidung angenommen (dazu „Cato” unter der Überschrift „Die Dummensteuer ist verfassungsgemäß”, FR 2005, 411). Dieser Kammerbeschluss gibt dem Senat nach erneuter Prüfung keinen Anlass, seinen Vorlagebeschluss vom 21.04.2004, der neben der Verfassungswidrigkeit der Gewerbeertragsteuer hilfsweise auch die Verfassungswidrigkeit der Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG geltend macht, bezüglich dieser Frage aufzuheben oder einzuschränken. Er bleibt vielmehr bei seiner Auffassung, dass die Abfärberegelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und deshalb verfassungswidrig ist.
I. Das Bundesverfassungsgericht fordert von einem Gericht, welches ihm eine Norm im Rahmen des konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Überprüfung vorlegt, sich ausführlich mit der Rechtslage, den Erwägungen des Gesetzgebers und der hierzu ergangenen Rechtsprechung und Literatur auseinander zu setzen. Erfüllt das vorlegende Gericht diese Anforderungen nicht, kann die Vorlage nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als unzulässig zurückgewiesen werden (BVerfGE 78, 165, 171; 86, 71, 77; 97, 49, 60; 105, 61, 67 und zuletzt der Kammerbeschluss vom 14.02.2005 – 2 BvL 1/05 – http://www. bverfg.de/entscheidungen/lk20050214_2bvl000105.html, kritisch Habscheidt, Der Anspruch des Bürgers auf Erstattung verfassungswidriger Steuern, 2003, S. 44 ff.; der EuGH stellt demgegenüber erheblich geringere Anforderungen an Richtervorlagen und gewährt den nationalen Gerichten sogar einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Erforderlichkeit der Vorlage, vgl. EuGH v. 07.01.2003 – Rs. C-306/99 – BIAO, Slg. 2003, I-1 Rz. 88). Zwar haben Kammerbeschlüsse, mit denen Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen werden und damit auch der Kammerbeschluss vom 26.10.2004 über den entschiedenen Fall hinaus keine Bindungswirkung (BVerfGE 33, 199, 204; 70, 242, 249; 79, 256, 264). Weil hier aber eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsmäßigkeit der Abfärberegelung bejaht hat, die vom Senat als verfassungswidrig beurteilt wird und diese Frage Gegenstand des noch anhängigen Vorlagebeschlusses des Senats ist, sieht es der Senat unter Berücksichtigung der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Richtervorlage als seine Pflicht an, seine verfassungsrechtliche Beurteilung der Abfärberegelung zu überprüfen und, da er dem Kammerbeschluss nicht folgen kann, in der Auseinandersetzung mit den Gründen des Kammerbeschlusses zu ergänzen.
II. Der Kammerbeschluss verknüpft bei der Formulierung des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine zulässige Ungleichbehandlung mit den Erleichterungen, die die Rechtsprechung dem Gesetzgeber eröffnet hat, wenn es sich um typisierende Regelungen handelt oder wenn dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit offen steht, zwischen Belastungs- und Begünstigungsvarianten zu wählen. Zur Begründung seiner Auffassung, dass die Abfärberegelung nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, führt die Kammer aus, wesentlicher Grund für die Umqualifizierung anderer Einkünfte zu gewerblichen Einkünften sei das bei Personengesellschaften infolge der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bestehende praktische Bedürfnis, die von ihr erzielten Einkünfte einer Einkunftsart zuzuordnen. Im Gegensatz zu der bei Einzelunternehmern in der Regel leichter möglichen klaren Zuordnung der von diesen erzielten Einkünfte zu den jeweils maßgeblichen Einkunftsarten könne sich beim Zusammenwirken einer Mehrheit von Mitunternehmern im Rahmen einer Personengesellschaft eine solche klare Trennung der verschiedenen Einkunftsarten schwieriger gestalten. Auf der Ebene der gesonderten und einheitliche...