Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbeutekalkulation als Schätzungsmethode
Leitsatz (redaktionell)
- Zu der Frage, wann Hinzuschätzungen dem Grunde nach gerechtfertigt sind.
- Bereits das Fehlen von Programmierprotokollen sowie weiterer Organisationsunterlagen der Registrierkasse stellt einen formellen Mangel der Buchführung dar.
- Anweisungen zur Kassenprogrammierung sowie insbesondere die Programmierprotokolle, die nachträgliche Aufwendungen dokumentieren, sind als „sonstige Organisationsunterlagen” aufbewahrungspflichtig.
- Kann ein Stpfl., der ein Speiserestaurant betreibt, sämtliche Organisationsunterlagen seiner Registrierkasse nicht vorlegen, ist seine Buchführung schon aus diesem Grunde mangelhaft. Entsprechendes gilt für nicht aufbewahrte Rechnungen.
- Eine Ausbeutekalkulation ist eine anerkannte Schätzungsmethode.
Normenkette
AO § 162
Streitjahr(e)
2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Hinzuschätzungen.
Der Kläger ist verheiratet. Er betrieb in den Streitjahren das Speiserestaurant „Z” in R. Den Gewinn ermittelte er durch Bestandsvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 Einkommensteuergesetz (EStG). Die Einkünfte wurden durch den Beklagten (das Finanzamt - FA -) jeweils gesondert festgestellt. Die Bescheide für die Streitjahre 2006 bis 2009 sowie 2011 ergingen zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abgabenordnung - AO -). Der Bescheid für 2010 enthielt keinen Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau am 10. April 2014 sowie einer Außenprüfung für die Jahre 2006 bis 2012 von Oktober 2013 bis Februar 2015 trafen die Prüfer unter Hinzuziehung des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen folgende Feststellungen:
Der Kläger verwendete im Prüfungszeitraum zur Erfassung seiner Bareinnahmen eine elektronische Registrierkasse vom Typ Quorion. Die zur Kasse gehörenden Organisationsunterlagen, insbesondere die Bedienungsanleitung, die Programmieranleitung, die Programmabrufe nach jeder Änderung, Protokolle über die Einrichtung von Verkäufer-, Kellner- und Trainingsspeichern u.ä., sowie alle weiteren Anweisungen zur Kassenprogrammierung konnte der Kläger für den gesamten Prüfungszeitraum nicht vorlegen. Die mit Hilfe der Registrierkasse erstellten Rechnungen bewahrte er nicht auf. Auch alle weiteren im Rahmen des Tagesabschlusses aufgerufenen Ausdrucke der Registrierkasse (z. B. betriebswirtschaftliche Auswertungen, Ausdrucke der Trainingsspeicher, Kellnerberichte) wurden ebenfalls nicht aufbewahrt. In der Buchführung befindet sich lediglich der so genannte Tagesbericht. Trotz eines gegenteiligen Hinweises im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau am 10. April 2013 löschte der Kläger auch sämtliche übrigen Berichte aus dem elektronischen Speicher der Kasse.
Für die Kasse wurden mehrere Bedienerschlüssel verwendet. Dabei war der als Bediener 5 verwendete Schlüssel als so genannter Trainingsbediener eingerichtet. Die mit diesem Bediener durchgeführten Eingaben erhöhen den Umsatz der einzelnen Berichte nicht. Tatsächlich wurde der Bediener 5 wie ein regulärer Kellner verwendet. Eine gesonderte Aufzeichnung von Übungsumsätzen erfolgte nicht. Ebenso wurden die mit Hilfe des Trainingskellners gebuchten Bons nicht gesondert aufbewahrt.
Weiterhin war die Stornoart „Berichtigung” so eingestellt, dass diese nicht auf dem Journaldruck erschien. Damit waren die Stornierungen insgesamt nicht offen ausgewiesen. Sie wurden auch nicht im elektronischen Journal gespeichert. Folglich bestand keine Möglichkeit, die auf diese Stornoart entfallenden Umsatz auf den Tagesendsummenbons zu erkennen. Tatsächlich wurden innerhalb von nur fünf Monaten über 40.000 € auf diese Art und Weise storniert. Ein Großteil dieser Stornierungen erfolgte durch den Chefbediener jeweils ab 22:00 Uhr.
Die Einnahmen und Ausgaben des Betriebs wurden jeweils am Monatsende durch den Steuerberater gebucht. Ein Konto „Kasse” wurde nicht gebucht. Vielmehr wurden die Einnahmen und Ausgaben gegen - hinsichtlich der Bestandskonten - ergebnisunwirksame Konten gebucht. Der Saldo wurde dann im Jahre des jeweiligen Jahresabschlusses über Entnahmen/Einlagen ausgebucht. Dabei wurden die Einnahmen auch nicht täglich erfasst, sondern am Ende des Monats kumuliert eingebucht. Bei einer Überprüfung für den Veranlagungszeitraum 2012 aufgrund taggenauer Einnahmen und Ausgaben ergaben sich umfangreiche Kassenfehlbeträge.
Die Lohnzahlung an die Angestellten erfolgte nicht über das Bankkonto. Vielmehr wurden die offenen Lohnzahlungen über Verbindlichkeiten gebucht und im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses als Barausgabe nachträglich erfasst. In welcher Höhe die Arbeitnehmer (lt. Lohnsteueranmeldungen zwischen fünf und zehn bei Lohnzahlungen zwischen 21.000 € und 30.000 € im Jahr) tatsächlich Lohn erhalten haben, ließ sich aufgrund der vorgelegten Aufzeichnungen nicht aufklären.
Im Rahmen einer Durchsuchung wurden in der Handtasche der Eh...