Entscheidungsstichwort (Thema)
Empfängerbenennung nach § 160 AO – Benennungsverlangen als neue Tatsache i. S. des § 173 AO
Leitsatz (redaktionell)
- § 160 AO ist auch anwendbar, wenn die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen geschätzt hat. In diesem Fall hat sie nach Schätzung der BA zu prüfen, ob und inwieweit die fehlende Benennung der Zahlungsempfänger dem Abzug der Ausgaben entgegensteht.
- Der Finanzbehörde kommt dabei ein Ermessen zu, bei dem sie zunächst über die Zumutbarkeit des Benennungsverlangens an sich und danach über die Hinzurechnung bzw. die steuerliche Nichtberücksichtigung dem Grund und der Höhe nach entscheidet.
- Ein Benennungsverlangen ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn aufgrund der Lebenserfahrung die Vermutung nahe liegt, dass der Empfänger einer Zahlung den Bezug zu Unrecht nicht versteuert hat. Hiervon kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn feststeht, dass die Angaben über den Empfänger einer Zahlung in der Buchung unzutreffend oder unvollständig sind.
- Im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit des Benennungsverlangens ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Hinblick auf den jeweiligen Geschäftsvorfall zu beurteilen.
- Ein nach Eintritt der Bestandskraft eines Bescheides an den Stpfl. gerichtetes Benennungsverlangen rechtfertigt bei Nichterfüllung nicht dessen Änderung nach § 173 AO.
Normenkette
AO §§ 160, 162
Streitjahr(e)
2006, 2007, 2008, 2009
Nachgehend
Tatbestand
Streitig sind der Abzug von Betriebsausgaben und die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Änderung der Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) erfüllt sind.
Die Kläger sind Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte in den Streitjahren mit dem An- und Verkauf von Schrott und Altmetall Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die Klägerin erzielte keine Einkünfte. Nach den Aufzeichnungen des Klägers in seinen Umsatzsteuerheften hat er in jedem Jahr an etwa 100 Tagen ein An- und Verkaufsgeschäft getätigt, die Kosten des Wareneinkaufs betrugen in der Regel zwischen 2.000 Euro und 4.000 Euro, in 20 Prozent der Fälle betrugen sie zwischen 4.000 Euro und 26.000 Euro.
Die Einkommensteuererklärung 2006 ging im Mai 2007 beim Beklagten (dem Finanzamt [FA]) ein; die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb wurden an Amtsstelle ermittelt. Der Einkommensteuerbescheid und der Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 2006 standen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Für die Jahre 2007 bis 2009 reichte der Kläger die von einem Steuerberater erstellten Gewinnermittlungen ein, in denen die Gewinne nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt waren. Das FA setzte die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbeträge im Wesentlichen erklärungsgemäß fest und erließ die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2007 bis 2009 nach § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Anlässlich einer Anfang des Jahres 2011 beim Kläger durchgeführten Außenprüfung stellte der Prüfer u. a. fest, dass der Kläger für die von Privatpersonen und Firmen angekauften Altmetalle bis auf wenige Ausnahmen keine Belege über die in den Umsatzsteuerheften aufgezeichneten Ausgaben für den Wareneinkauf vorlegen konnte. Trotz Aufforderung des Prüfers machte er keine Angaben zu den Zahlungsempfängern. Der Prüfer schätzte die Kosten des Wareneinkaufs von Privatleuten mit 55 Prozent der gesamten, nicht belegten Wareneingangskosten und ging bei dem verbliebenen Anteil des nichtbelegten Wareneinkaufs davon aus, dass der Ankauf bei Firmen erfolgt sei. Diese Kosten ließ er nach § 160 AO nicht zum Betriebsausgabenabzug zu. Hierdurch verminderten sich die Betriebsausgaben in den Streitjahren um Beträge zwischen 34.000 und 120.000 Euro.
Der Beklagte folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, wobei er die Änderung für das Jahr 2006 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und für die Jahre 2007 bis 2009 nach § 164 Abs. 2 AO vornahm. Die Gewerbebesteuermessbetragsfestsetzungen änderte er für das Jahr 2006 nach § 35b Gewerbesteuergesetz (GewStG) und für die Jahre 2007 bis 2009 nach § 164 Abs. 2 AO.
Gegen die geänderten Bescheide legten die Kläger fristgerecht Einsprüche ein, die sie damit begründeten, dass wegen der besonderen Art der Gewinnermittlung keine neuen Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlägen. Dem FA seien sämtliche Tatsachen und Beweismittel bereits im Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzung bekannt gewesen, weil der Gewinn aus Gewerbebetrieb nach den Aufzeichnungen im Umsatzsteuerheft an Amtsstelle ermittelt worden sei und der zuständigen Veranlagungsstelle bekannt gewesen sei, dass es für den Wareneinkauf keine Belege gebe. Dennoch habe das FA den Wareneinsatz stets gewinnmindernd berücksichtigt und hiermit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, das eine nachträgliche Änderung wegen fehlender Belege, welche bereits bei der Vera...