vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [VI R 31/14)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten: Aufwendungen für Unterbringung eines Kindes in einer vollstationären kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung
Leitsatz (redaktionell)
- Zum Begriff der Zwangsläufigkeit nach § 33 Abs. 1 EStG.
- Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.
- Krankheitskosten erwachsen dem Stpfl. i.d.R. – ohne Rücksicht auf Art und Ursache der Erkrankung – aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig.
- Als Krankheitskosten werden aber nur Aufwendungen berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen.
- Nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu führen, wobei das Gutachten bzw. die Bescheinigung vor Beginn der Heilmaßnahmen ausgestellt worden sein muss.
Normenkette
EStG § 33; EStDV § 64
Streitjahr(e)
2009
Tatbestand
Streitig ist, ob Aufwendungen der Kläger für die vollstationäre Unterbringung ihrer Tochter in einer Einrichtung der Jugendhilfe außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) darstellen.
Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gem. § 19 EStG und die Klägerin Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gem. § 21 EStG.
Die am Y 1994 geborene Tochter A leidet schon seit längerem an einer einfachen Störung der Konzentration und Aufmerksamkeit sowie an einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen. A befand sich Ende 2006 in jugendpsychiatrischer Behandlung. Nachdem es im häuslichen Bereich aufgrund aggressiven Verhaltens von A zu massiven Schwierigkeiten gekommen war, erfolgte in der Zeit vom März 2007 bis Juni 2007 eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung. Eine weitere stationäre jugendpsychiatrische Beobachtung und Behandlung fand vom November bis Januar 2009 statt. Seit dem Januar 2009 ist die Tochter in einer betreuten Mädchenwohngruppe untergebracht. Mit Bescheid vom gewährte der Landkreis vollstationäre Jugendhilfe nach dem Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) durch Übernahme der Jugendhilfekosten. Nach Überprüfung der Einkommensverhältnisse der Kläger setzte der Landkreis einen Kostenbeitrag gem. §§ 91 ff. SGB VIII für das Jahr 2009 in Höhe von 7.151,52 € und für das Jahr 2010 in Höhe von 7.842,-€ fest.
Mit ihren Steuererklärungen 2009 und 2010 beantragten die Kläger, den vom Landkreis festgesetzten Kostenbeitrag als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 EStG steuermindernd bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen. Der Beklagte lehnte eine Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 Abs. 1 EStG ab und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2009 und 2010. Die Kläger legten gegen die Steuerbescheide Einsprüche ein, welche der Beklagte mit Einspruchsbescheiden jeweils vom 16. März 2012 als unbegründet zurückwies.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Kläger sind der Auffassung, dass die Voraussetzungen für den Ansatz der Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung erfüllt seien. Insbesondere seien ihnen die Aufwendungen zwangsläufig erwachsen. Problematisch sei insoweit allein die medizinische Notwendigkeit der Unterbringung. Der Beklagte sei der Auffassung, der Nachweis könne nur durch ein vor Durchführung der Maßnahme erstelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten erbracht werden. Dies sei unzutreffend, weil die Regelung des § 33 Abs. 4 EStG i.V.m. § 64 Ans. 1 Nr. 2 Buchst. c EStDV in zeitlicher Hinsicht nicht anzuwenden sei. Zwar bestimme § 84 Abs. 3f EStDV die Anwendung in allen noch offenen Fällen. Diese Bestimmung verstoße jedoch - soweit Veranlagungszeiträume vor 2011 betroffen seien - gegen das Rückwirkungsverbot. Mit Ablauf eines jeden Veranlagungszeitraumes seien die steuerlichen Verhältnisse abgeschlossen. Durch die genannte Norm werde rückwirkend belastend in die Nachweismöglichkeit des Steuerpflichtigen eingegriffen. Zwar könne ausnahmsweise eine solche Rückwirkung zulässig seien, soweit eine in der Rechtsprechung vertretene Gesetzesauffassung festgeschrieben werde. Im konkreten Fall habe der BFH jedoch seine bisherige Rechtsprechung durch das Urteil vom 11. November 2010 (VI R 17/09) geändert. Insbesondere verlange der erkennende Senat nunmehr nicht mehr ein vor Durchführung der Maßnahme erstelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten. Das Urteil sei durch das Schreiben des BMF vom 21. November 2011 für allgemein anwendbar erklärt worden. Somit habe der Nachweis nach Auffassung von Rechtsprechung und Verwaltung durch ...