Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulässigkeit der Verwertung von Ergebnissen der Überwachung und Auswertung der Telekommunikation mit Krypto-Handys des Anbieters EnchroChat, die von Behörden eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union im dortigen Verfahren erhoben worden sind. Strafprozessrecht. Europarecht. Rechtshilfe. Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen. Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten. Beweisverwertungsverbot. EnchroChat
Leitsatz (amtlich)
1. Erstreckt sich die Überwachung der Telekommunikation auf das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates, hat der überwachende Mitgliedstaat, sobald er Kenntnis davon erlangt, die zuständigen Behörden des Mitgliedstaates, dessen Hoheitsgebiet betroffen ist ("unterrichteter Mitgliedstaat"), gem. Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41/EU vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL-EEA) von der Ermittlungsmaßnahme in dem dort bezeichneten Umfang zu unterrichten.
Die zuständigen Behörden des unterrichteten Mitgliedstaates haben der zuständigen Behörde des überwachenden Mitgliedstaats unverzüglich und spätestens innerhalb von 96 Stunden nach Erhalt der Unterrichtung gem. Art. 31 Abs. 2 RL-EEA mitzuteilen, ob die Überwachung nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist. Unterbleibt eine solche Mitteilung an die Behörden des überwachenden Mitgliedstaats, gilt die TKÜ-Maßnahme nach der Systematik der Richtlinie als im unterrichteten Mitgliedstaat genehmigt.
2. Zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten erfolgt der spontane Austausch der gewonnenen Erkenntnisse auf der Grundlage von Art. 7 des Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder dem Art. 7 des Eu-RhÜbK. Die Modalitäten eines solchen spontanen Austausches richten sich nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, der die Informationen zur Verfügung stellt.
3. Die übermittelten Daten können gem. §§ 92b, 77h IRG als Beweismittel in einem Strafverfahren verwendet werden, wenn der übermittelnde Staat seine Zustimmung erteilt hat.
Normenkette
IRG §§ 92b, 92d Abs. 1 Nr. 1, §§ 77h, 59 Abs. 3; RL 2014/41/EU Art. 31 Abs. 1; EURaBes 960/2006 Art. 7
Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 03.11.2020; Aktenzeichen 4 Qs 362/20) |
AG Bremen (Aktenzeichen 92b Gs 841/20) |
Tenor
Die weiteren Beschwerden des Beschuldigten vom 26. und 27.11.2020 gegen den Beschluss des Landgerichts Bremen vom 03.11.2020, Az. 4 Qs 362/20, werden auf seine Kosten als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bremen erließ am 11.09.2020 Haftbefehl gegen den Beschuldigten wegen des dringenden Tatverdachts der unerlaubten Einfuhr und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wobei der Beschuldigte als Mitglied einer Bande gehandelt habe, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden habe und dabei eine Schusswaffe mit sich geführt habe. Zudem bestehe der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte ohne Erlaubnis mit Munition Handel getrieben habe.
Der Beschuldigte habe im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den Beschuldigten R. und S.-R. Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in das Bundesgebiet eingeführt, um diese sodann an eine Vielzahl von Abnehmern in Teilmengen gewinnbringend weiter zu veräußern und zu übergeben. Der Beschuldigten, dem die Letztentscheidungsgewalt in der Tätergruppe oblegen habe, habe die Aufgabe übernommen, die Handelsgeschäfte mit Lieferanten und Abnehmern zu verhandeln und abzuschließen. Der Beschuldigte R. habe als rechte Hand des Beschuldigten S. die praktische Abwicklung der Lieferungen übernommen, während der Beschuldigte S.-R. in erster Linie die zur Durchführung der Taten verwendeten EncroChat-Mobiltelefone besorgt habe. Im Zeitraum vom 26.03.2020 bis zum 01.06.2020 sei es zu insgesamt 24 - im Haftbefehl im Einzelnen aufgeführten - Handlungen gekommen, die zueinander im Verhältnis der Tateinheit stünden.
Der dringende Tatverdacht gegen die Beschuldigten ergebe sich aus den von ihnen selbst verfassten Chatnachrichten, aus denen sich die Tatverläufe rekonstruieren ließen, sowie aus den angeordneten Observations- und TKÜ-Maßnahmen. Aus einem in Frankreich geführten Ermittlungsverfahren seien dem BKA im Rahmen des internationalen polizeilichen Datenaustausches Daten zur Verfügung gestellt worden, aus denen sich die EMEI von in Deutschland eingebuchten Mobilfunkgeräte mit E-Mail-Adresse des Mobilgerätes und der jeweiligen Kontaktpartner, Datum, Uhrzeit und Funkmaststandort der jeweiligen Kommunikation sowie Kommunikationsinhalte bestehend aus Chatnachrichten und übermittelten Bilddateien ergäben. Der Beschuldigte S. sei als Nutzer des Accounts "[...]@encrochat.com" identifiziert worden. Auch der Mitbeschuldigte R. sei als Nutzer der Chatplattform EncroChat unter dem Nutzernamen "[...]@e...