Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Strohmann-Geschäftsführers bei Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung
Leitsatz (amtlich)
Auch ein Geschäftsführer, der als Strohmann fungiert, die Wahrnehmung seiner Kompetenzen Dritten überlässt und sich um die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse der Mitarbeiter der Gestaltung nicht kümmert, haftet wegen der Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und nimmt die Nichtabführung (im Sinne bedingten Vorsatzes) zumindest in Kauf.
Normenkette
BGB §§ 266a, 823 Abs. 2; StGB § 14
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 09.12.2016; Aktenzeichen 4 O 48/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des wegen der Verzinsung weiter gehenden Rechtsmittels - das am 9.12.2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Hildesheim teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.513,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 9.460,69 EUR für die Zeit vom 28.9.2011 bis zum 26.1.2017 und aus dem Gesamtbetrag für die Zeit ab dem 27.1.2017 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die genannte Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt.
Die (wegen der Zinsen) weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die im ersten Rechtszug entstandenen Kosten werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren:
38.846,69 EUR bis zum 19.4.2017;
19.513,38 EUR für die Zeit danach.
Gründe
Gründe (§§ 313a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO):
Die Berufung der Klägerin erweist sich (mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Verzugszinsen) im nunmehr noch gestellten Umfang als begründet. Entgegen der Auffassung des LG haftet die Beklagte der Klägerin wegen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a, 14 StGB. Die Beklagte ist als ehemalige Geschäftsführerin der M. GmbH, die ein Callcenter für Telefondienstleistungen verschiedener Art betrieben hat, der Klägerin als Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge betreffend zwei Arbeitnehmerinnen der GmbH verantwortlich. Entgegen der Auffassung des LG entfällt eine Haftung der Beklagten nicht deswegen, weil diese, wie sie geltend macht, lediglich als Strohfrau fungiert habe und die Kontrolle über die Gesellschaft allein bei wirtschaftlich interessierten Hintermännern gelegen habe. Anders als die Beklagte meint, hat es sich bei den im Callcenter als Telefonistinnen arbeitenden Mitarbeiterinnen nicht um Selbstständige, sondern um sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen gehandelt. Auch hat die Beklagte (zumindest bedingt) vorsätzlich gehandelt. Entsprechend der Berechnung im Schriftsatz der Klägerin vom 19.4.2017 (Bd. III, Bl. 451 ff. d.A.), mit dem die im zweiten Rechtszug zunächst in zeitlicher Hinsicht erweiterte Klage - auf Hinweis des Senats - im Wege einer Teilrücknahme auf die Arbeitnehmeranteile betreffend den Gesamtzeitraum beschränkt worden ist, schuldet die Beklagte Schadensersatz in der zuletzt geltend gemachten Höhe von rund 19.500 EUR.
Im Einzelnen ist Folgendes festzuhalten:
1. Die Beklagte haftet wegen der Vorenthaltung der Arbeitnehmeranteile durch die M. GmbH (deren alleinige eingetragene Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin sie war) ungeachtet der Frage, ob sie insoweit als "bloße Strohfrau" fungiert haben mag. Dass sie die ihr als Geschäftsführerin kraft Gesetzes zustehenden Kompetenzen nicht genutzt, sondern diese anderen überlassen haben will, vermag sie nicht zu entlasten; die vom LG in Bezug genommene gegenteilige Auffassung (OLG Hamm, Beschluss vom 10.2.2000, 1 Ss 1337/99 = BeckRS 9998, 25494) trifft nicht zu (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2016, 3 StR 352/16; vgl. zur Haftung des Strohmann-Geschäftsführers auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., Rn. 96 zu § 43 m.w.N.). Die letztgenannte Entscheidung betrifft entgegen der Annahme der Beklagten weder eine andere Fallgestaltung, noch stellen die (sogar im Leitsatz der Entscheidung herausgestellten) Grundsätze bloße obiter dicta dar. Vielmehr "begründet allein die Stellung als formeller Geschäftsführer, mit der von Gesetzes wegen stets alle rechtlichen und damit auch tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten einhergehen, nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB dessen Verantwortlichkeit als Organ der Gesellschaft nach außen. Dies gilt auch dann, wenn ihm - als "Strohmann" - rechtsgeschäftlich im Innenverhältnis keine bedeutsamen Kompetenzen übertragen wurden und für die Gesellschaft eine andere Person mit so weitreichenden Handlungskompetenzen auftritt, dass sie ihrerseits als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist".
2. Zutreffend nimmt die Klägerin an, dass es sich bei den bei der M. GmbH angestellten Telefonistinnen W. und M. nicht um Sel...