Leitsatz (amtlich)
1. Die Fälligkeitsregelung des § 18 Abs. 1 S. 3 UStG, nach der die Umsatzsteuervorauszahlung am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig wird, ist auf Umsatzsteuervorauszahlungsschulden, die entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 UStG nicht rechtzeitig angemeldet worden sind, nicht anwendbar.
2. Wenn ein Unternehmer entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 UStG seine Umsatzsteuervoranmeldung nicht bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums abgegeben hat, wird der Anspruch des Finanzamts auf die Umsatzsteuervorauszahlungen gem. § 220 Abs. 2 S. 1 AO (1977) grundsätzlich mit seiner Entstehung sofort fällig.
3. Der Anspruch des Finanzamts auf Umsatzsteuervorauszahlungen entsteht mit Ablauf des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums.
4. Die Fälligkeitsregelung des § 220 Abs. 2 S. 2 AO (1977), nach der die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung eintritt, gilt nicht, wenn der Anspruch des Finanzamts keiner Festsetzung durch den Steuerbescheid nach § 218 Abs. 1 AO (1977) mehr zugänglich ist, weil das Finanzamt wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 87 InsO daran gehindert ist, seine Steuerforderung durch Steuerbescheid festzusetzen.
5. Eine Aufrechung mit Gegenforderungen des Finanzamts aus dem Steuerverhältnis kann zulässig sein, wenn ein Unternehmer entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 UStG seine Umsatzsteuervoranmeldung nicht bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums abgegeben hat und deshalb der Anspruch des Finanzamts auf die Umsatzsteuervorauszahlungen gem. § 220 Abs. 2 S. 1 AO (1977) schon mit Ablauf des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums fällig wird. Das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 S. 3 InsO kann in diesem Fall nicht anwendbar sein.
6. Bund und Länder sind Teilgläubiger i.S.v. § 420 (Alt. 2) BGB der Umsatzsteuer, deren Aufkommen ihnen gemeinsam zusteht (Gemeinschaftsteuer, Art. 106 Abs. 3 GG).
Normenkette
UStG § 18 Abs. 1 S. 1, § 18 S. 3; AO i.d.F. v. 1977 § 220 Abs. 1; AO § 220 Abs. 2; InsO § 95 Abs. 1 S. 3; BGB § 420
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 12.07.2005; Aktenzeichen 18 O 410/04) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 18. Zivilkammer des LG Hannover vom 12.7.2005 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil abgeändert und neu gefasst wie folgt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen in Bezug auf die Klageforderungen aus dem Bauvorhaben Ausbau der B1/B83 "..." über 66.161,19 EUR, weitere 917,97 EUR für die dazugehörigen Bestandspläne und 157,52 EUR für Lichtbilder sowie 472,57 EUR für das Bauwerksbuch und 630,08 EUR für die Mikroverfilmung und 80.472,91 EUR aus der Baumaßnahme B1 OD H./O. (insges. 148.812,24 EUR).
Streitwert des Berufungsverfahrens: 476.014,10 EUR.
Gründe
I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Straßenbaufirma - unstreitige - Werklohnforderungen i.H.v. 476.014,10 EUR ggü. der Beklagten geltend. Demgegenüber hat die Beklagte insgesamt die Aufrechnung erklärt mit - streitigen - Gegenforderungen aus dem Bundesanteil von Steuerforderungen des Finanzamts D., die aus Umsatzsteuerrückständen der Jahre 1995, 1997 und der Zeit bis einschließlich Januar 2002 herrühren. Am 1.2.2002 ist das Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet worden.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 82 f. d.A.).
Das LG hat der Klage zum Teil - über 255.922,64 EUR - stattgegeben, weil es die Gegenforderung der Beklagten nur i.H.v. 220.091,46 EUR für begründet gehalten hat. Die Aufrechnung sei in Bezug auf die Umsatzsteuerforderung für Januar 2002 nach § 95 Abs. 1 S. 3 InsO ausgeschlossen. Diese Forderung sei im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nicht fällig gewesen. Das hätte die Entstehung der Steuerforderung vorausgesetzt. Die Forderung für Januar 2002 sei jedoch im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht festgesetzt gewesen. Da es sich insoweit um eine Vorsteuerrückforderung gem. § 17 Abs. 2 UStG handele und ein solcher Anspruch innerhalb des Voranmeldezeitraums fällig werde, in den die Insolvenzeröffnung falle, § 18 UStG, würden Vorauszahlungen 10 Tage nach Ablauf des Voranmeldezeitraums fällig, in dem sie entstanden seien, wobei der Voranmeldezeitraum maßgeblich sei, in den die Insolvenzeröffnung falle. Früher werde die Steuerforderung nicht fällig, weil sie erst mit Ablauf des Voranmeldezeitraums entstehe (vgl. im Einzelnen Bl. 83 f. d.A.).
Gegen dieses Urteil wenden sich beid...