Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzesstelle

 

Leitsatz (amtlich)

Die Haftung des faktischen Geschäftsführers nach § 64 GmbHG bzw. § 130a HGB setzt nicht voraus, dass dessen Tätigkeit von einer Gesellschaftermehrheit getragen wird.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der L GmbH & Co. KG (künftig: Schuldnerin), an der der Beklagte als Kommanditist beteiligt ist. Er nimmt diesen als faktischen Geschäftsführer der Schuldnerin auf Ersatz von nach Insolvenzreife geleisteten Zahlungen in Anspruch. Die Schuldnerin wurde im März 2008 gegründet. Komplementärin ist die bereits 2003 gegründete L GmbH, deren Geschäftsführerin Frau F ist. Der Beklagte, der vielfältig im Bereich der Gastronomie tätig ist, u.a. betreibt er das Lokal "...", ist sowohl Kommanditist der Schuldnerin als auch Gesellschafter der Komplementärin.

Die Schuldnerin übernahm im Juni 2008 das Lokal "B..." in G. In diesem Lokal betätigte sich auch Herr R, der mit der Geschäftsführerin F verschwägert ist. Diesem warf der Beklagte im Herbst 2008 Veruntreuungen vor. In der Folgezeit wurden von dem Verpächter die Schlösser des Lokals ausgewechselt, sodass Herr R und die Geschäftsführerin keinen Zugang mehr hatten. Während der Zahlungsverkehr der Schuldnerin zunächst über ein für diese vom Beklagten eingerichtetes Konto bei der ... abgewickelt wurde, erfolgte er ab Dezember 2008 über das Konto ... bei der ..., dessen Inhaberin die O GmbH ist. Alleingesellschafter der O GmbH ist der Beklagte; bis zum 15.12.2008 war er auch deren Geschäftsführer. Auf Antrag einer Krankenkasse wurde durch Beschluss des AG ... v. 1.5.2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger hat behauptet:

Die Schuldnerin sei seit November 2008 zahlungsunfähig gewesen. (...) Jedenfalls ab Dezember 2008 sei der Beklagte der faktische Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen, denn er habe die Gaststätte nach dem Austausch der Schlösser in Besitz gehabt, einen neuen Betriebsleiter bestellt, Anmeldungen der Mitarbeiter zur Krankenversicherung veranlasst und den Zahlungsverkehr der Schuldnerin abgewickelt. Der Kläger nimmt den Beklagten für die in der Zeit ab dem 1.2.2009 erfolgten Überweisungen ... sowie Barzahlungen ... in Anspruch.

Der Beklagte hat bestritten,

die Geschäfte der Schuldnerin jemals geführt zu haben. Soweit er aktiv geworden sei, habe er nur seine Rechte als Kommanditist wahrgenommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Aus dem Vortrag des Klägers ergebe sich nicht, dass der Beklagte faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin gewesen sei. (...)

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung ist zulässig und im Wesentlichen auch begründet.

1.

Der Beklagte haftet für die von der Schuldnerin in der Zeit ab dem 1.2.2009 noch geleisteten Zahlungen gem. § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB.

a)

Der Senat muss davon ausgehen, dass die Schuldnerin bereits seit November 2008 insolvenzreif war. (...)

b)

Der Beklagte haftet für die seit Februar 2009 aus dem Vermögen der Schuldnerin noch geleisteten Zahlungen, weil er im fraglichen Zeitraum deren faktischer Geschäftsführer war. Es entspricht zu Recht ganz h.M., dass die Insolvenzantragspflicht auch den faktischen Geschäftsführer trifft (BGH, Urt. v. 11.7.2005 - II ZR 235/03, Rn. 8 - 11; ebenso Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 64 Rn. 9; Kleindieck, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh. § 64 Rn. 67; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, Anh. § 64 Rn. 22; Strohn, DB 2011, 158, 166).

Für den Senat steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Beklagte zumindest seit Anfang November 2008 die Geschicke der Schuldnerin gelenkt hat. Für die Beurteilung, ob eine Person im Rahmen des Haftungstatbestands des § 64 GmbHG - für die hier maßgebliche Parallelvorschrift des § 130a HGB kann nichts anderes gelten - als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist, kommt es im Rahmen einer Gesamtschau darauf an, "ob der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft - und zwar nicht nur durch interne Einwirkung auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer, sondern durch eigenes, auch nach außen hervortretendes Handeln - so maßgeblich in die Hand genommen hat, dass ihm auch die Verantwortung für die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags zufällt", wobei es nicht darauf ankommen soll, ob der bestellte Geschäftsführer völlig aus seiner Position verdrängt wird (BGH, Urt. v. 21.3.1988 - II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 47). Soweit der Beklagte in seinem letzten Schriftsatz auf weitere Kriterien abstellt, entstammen diese strafrechtlichen Entscheidungen, die nicht ohne Weiteres auf die hier zu entscheidende zivilrechtliche Haftungsfrage zu übertragen sind.

Der Senat stützt seine Überzeugung von der Stellung des Beklagten als faktischem Geschäftsführer auf folgende unstreitige oder bewiesene Indizien:

Die nominelle Geschäftsführerin, Frau F, ist nach der insoweit glaubhaften Darstellung des Zeugen Dr. P am 3.11.2008 zusammen mit Herrn R von Personen aus der Begleit...

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