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Der Erlass der Grundsteuer nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG setzt zunächst voraus, dass die Erhaltung des Grundbesitzes (siehe § 2 GrStG) wegen seiner Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Naturschutz im öffentlichen Interesse liegt. Hierdurch wird der Tatbestand des Kulturguts i. S. d. § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG definiert.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist einem Grundstück eine Bedeutung für die Kunst zuzuerkennen, wenn die auf ihm befindlichen Anlagen (Bauten, Gartenanlagen) das ästhetische Empfinden in besonderem Maße ansprechen oder zumindest den Eindruck vermitteln, dass etwas nicht Alltägliches oder eine Anlage mit Symbolgehalt geschaffen worden ist. Eine Bedeutung für die Wissenschaft ist anzunehmen, wenn das Grundstück durch auf ihm gemachte oder zu erwartende Funde für die naturwissenschaftliche, prähistorische, archäologische oder historische Forschung bedeutsam ist. Außerdem können die Beschaffenheit der Gebäude für die historische und kunsthistorische Forschung von Bedeutung sein. Von Bedeutung für den Naturschutz ist ein Grundstück, wenn es Besonderheiten des geologischen Aufbaues, der Flora oder Fauna des umliegenden Gebiets hervortreten lässt oder in besonderer Weise mit der umgebenden Natur oder der bodenständigen Kultur des Gebietes, in dem es belegen ist, verbunden ist.[1] In Betracht kommen insbesondere rechtsverbindlich unter Naturschutz gestellte Gebiete (Naturschutzgebiete nach § 23 BNatSchG) und Naturdenkmale (§ 28 BNatSchG). Eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung der Naturschutzgebiete schränkt die Erlassmöglichkeit nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG – im Gegensatz zum Ausschluss einer Steuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GrStG i. V. m. § 6 GrStG – nicht ein.[2]

Im öffentlichen Interesse liegt die Erhaltung des Grundbesitzes nur, wenn die Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft oder Naturschutz durch bestimmte Fakten erwiesen und in das Bewusstsein der Bevölkerung oder eines breiten Kreises von Sachverständigen übergegangen ist. Einzelne Äußerungen, dass dem Grundbesitz eine derartige Bedeutung nicht abzusprechen sei, reichen nicht aus.[3] Für die Anwendbarkeit des § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG ist nicht jedes allgemeine – etwa durch Ermittlung einer Mehrheitsmeinung oder des Urteils von Experten erkennbar werdende – öffentliche Interesse ausreichend. Es muss sich vielmehr um ein besonderes öffentliches Interesse handeln, das insbesondere in besonderen rechtlichen Bindungen des Grundbesitzes zugunsten der in § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG bezeichneten Zwecke zum Ausdruck kommt, die in ihrer nutzungsbeschränkenden Wirkung über das hinausgehen, was Grundstückseigentümern von der Rechtsordnung allgemein zugemutet wird. Es muss sich um Bindungen handeln, die den Eigentümern zur Unrentabilität führende zusätzliche Nutzungsbeschränkungen auferlegen. Besondere rechtliche Bindungen in diesem Sinne können sich insbesondere aus dem "echten" denkmalschutzrechtlichen Erhaltungsgebot für Baudenkmale oder aus engen denkmalschutzrechtlichen Gestaltungsgeboten ergeben. Die Erfüllung von Pflichten aus dem öffentlichen Baurecht zur Rücksichtnahme auf Gemeininteressen führen hingegen regelmäßig nicht zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses.[4]

Im Zweifelsfalle ist das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Grundbesitzes wegen seiner Bedeutung für Kunst, Geschichte, Wissenschaft und Naturschutz nachzuweisen. Der Nachweis des besonderen öffentlichen Interesses kann durch eine Bestätigung der zuständigen Landesbehörde erbracht werden. Ein förmliches Verfahren ist insoweit nicht geregelt. Eine Bindungswirkung für die Gemeinden ergibt sich aus einer derartigen Bestätigung allerdings nicht. Die Gemeinden müssen die Erlassvoraussetzungen grundsätzlich selbständig prüfen. Gleichwohl wird die Gemeinde diese Bestätigung im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen.

Der Tatbestand des Kulturguts nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG ist selbstständig und unabhängig von den landesrechtlichen Vorschriften des Denkmalschutzes geregelt. Insoweit kann auch ein nicht förmlich als Denkmal (Baudenkmale, Denkmalbereiche, Gartendenkmale, Bodendenkmale) in ein öffentliches Verzeichnis (Denkmalliste) eingetragener Grundbesitz Kulturgut i. S. d. § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG sein. Eine förmliche Ausweisung von Grundbesitz als Denkmal im Sinne der Denkmalschutzgesetze der Länder macht eine gesonderte Nachprüfung des öffentlichen Interesses regelmäßig entbehrlich. Die Denkmaleigenschaft kann insbesondere durch Vorlage eines entsprechenden Auszuges aus der Denkmalliste belegt werden. Ein öffentliches Interesse kann hingegen nicht per se unterstellt werden, wenn der Grundbesitz in einem Landschaftsschutzgebiet (§ 26 Abs. 1 BNatSchG) liegt oder vergleichbar "schwach" ausgestalteten Zweckbestimmungen (z. B. Naturpark – § 27 BNatSchG – oder geschützte Landschaftsbestandteile – § 29 BNatSchG) unterliegt. Die rechtlichen Bindungen haben hier wegen des Fehlens eines ausdrücklichen allgemeinen Veränderungsv...

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