Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bein Anführung eines Scheinsitzes des Rechnungsausstellers. keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung bei bloßer Angabe des Bestimmungslandes ohne nähere Ortsbezeichnung. Nachweis der Bevollmächtigung des vorgeblichen Vertreters
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei summarischer Prüfung im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung bestehen Zweifel daran, den Vorsteuerabzug ausschließlich mit der Begründung zu versagen, bei der angegebenen Rechnungsanschrift handle es sich um einen sog. inaktiven „Scheinsitz” mit der Folge, dass die Rechnungen nicht alle notwendigen Pflichtangaben i. S. d. § 14 Abs. 4 UStG enthalten, weil die „zutreffende” Anschrift des leistenden Unternehmers fehle und der Unternehmer wegen des beanspruchten Schutzes des guten Glaubens auf das Billigkeitsverfahren gem. §§ 163, 227 AO zu verweisen sei. Bei zutreffender Betrachtung kann der Vorsteuerabzug nicht alleine wegen einer unzutreffenden Anschriftenangabe auf der Rechnung verweigert werden (entgegen der bisherigen BFH-Rechtsprechung; so auch FG Münster v. 12.12.2013, 5 V 1934/13 U).
2. Ergibt sich im Beförderungsfall aus dem Lieferschein nicht der Bestimmungsort der in einen anderen Mitgliedstaat (hier: Zypern) verbrachten Ware, sondern ist lediglich der Unternehmenssitz des Abnehmers aufgeführt, zu dem die Waren nicht befördert werden und ist auch in der Abnahmeerklärung lediglich ausgeführt, dass die Waren unverzüglich nach Zypern ausgeführt werden, ist gem. § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. § 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV und § 17c Abs. 2 Nr. 9 UStDV weder der Beleg- noch der Buchnachweis für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erbracht.
3. Bestehen berechtigte Zweifel an der Vertretungsmacht der für die Abnehmerin auftretenden Personen, ist in sog. Versendungsfällen die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung wegen nicht erbrachten Belegnachweis gem. § 17a Abs. 4 UStDV zu versagen. Das ist der Fall, wenn der vorgeblich Beauftragte kein Arbeitnehmer ist und eigenständige unternehmerische Aktivitäten der vermeintlichen Abnehmerin im Mitgliedstaat nicht festzustellen sind und das Register des Mitgliedstaats eine andere Person als vertretungsbefugte Person für das Unternehmen benennt.
Normenkette
UStG 2005 § 6a Abs. 3, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4, § 4 Nr. 1 Buchst. b; UStDV 2005 § 17a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4, § 17c Abs. 2 Nr. 9; AO §§ 163, 227; RL 2006/112/EG; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
1. Von der Vollziehung werden ausgesetzt die geänderten Bescheide vom 04.02.2013 über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung
- für Februar 2012 i.H. von 80.607,50 EUR,
- für März 2012 i.H. von 135.299,00 EUR,
- für April 2012 i.H. von 102.467,00 EUR.
In jeweils gleichem Umfang wird die Aufhebung der Vollziehung der geänderten Bescheide vom 04.02.2013 über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Februar 2012, März 2012 und April 2012 rückwirkend ab Fälligkeit angeordnet.
Die Aussetzung der Vollziehung endet mit Bestandskraft der Bescheide, spätestens jedoch einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Die Kosten des Verfahrens werden zu 19 % der Antragstellerin und zu 81 % dem Antragsgegner auferlegt.
4. Die Beschwerde an den Bundesfinanzhof wird zugelassen in Bezug auf die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Februar 2012, März 2012 und April 2012.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung der geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide vom 04.02.2013 für Januar 2012 i.H. von 75.100,15 EUR, für Februar 2012 i.H. von 80.607,50 EUR, für März 2012 i.H. von 135.299,00 EUR und für April 2012 i.H. von 102.467,00 EUR.
Die geänderten Bescheide beruhen auf den Feststellungen einer bei der Antragstellerin stattgefundenen Umsatzsteuer-Sonderprüfung. Auf den mehrfach geänderten Prüfungsbericht wird Bezug genommen (ursprünglicher Bericht vom 01.06.2012, geänderte Berichte vom 15.06.2012, 16.10.2012, zuletzt vom 22.01.2013, vgl. Bp-Akte Bl. 121, 139, 172, 148; vgl. auch Rechtsbehelfsakte Bl. 5 ff.).
Gegenstand des geänderten Vorauszahlungsbescheids für Januar 2012 sind zwei Lieferungen der Antragstellerin im Voranmeldungszeitraum Januar 2012 an die Fa. K. von jeweils 6 Edelmetalle am 18.01.2012 und am 26.01.2012 mit einem Gesamtwert von 470.362,20 EUR, welche die Antragstellerin als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen gem. § 4 Nr. 1b, § 6a UStG behandelt hatte. Die Abnehmerin war in einem öffentlichen Register in Zypern, registriert (vgl. Registrierungsdokumente vom 19.11.2010, Anlagenkonvolut A4, Bl. 37 ff. dA). Bereit im August 2011 hatte Herr T. namens der K. mit der Antragstellerin Kontakt aufgenommen. Hinsichtlich der ersten Lieferung wurde die Ware am 18.01.2012 von Herrn T. abgeholt, der sich mit seinem dänischen Personalausweis ausgewiesen und erklärt hatte, die Waren unverzüglich nach Zypern zu befördern. Herr T. war mit E-Mail vom 12.01.2012 durch H...