Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Vorsteuerabzug bei fahrlässiger Einbindung in eine der Umsatzsteuerhinterziehung dienende Lieferkette und bei Ausweis einer Scheinanschrift in der Rechnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Vorsteuerabzug aus Rechnungen über – nicht von Herstellern erfolgte –Mobiltelefonlieferungen scheidet aus, wenn die Rechnungen nicht die Anschrift des Leistenden zutreffend, sondern ein Scheinsitz angeben und der Unternehmer nicht das Erforderliche und ihm Zumutbare unternommen hat, um eine Beteiligung an einer auf Umsatzsteuerbetrug angelegten Lieferkette zu vermeiden.
2. Ein Scheinsitz liegt vor, wenn am Ort des in der Rechnung angegebenen Sitzes eines Handelsunternehmens nicht die typischen Funktionen wie das Anbahnen von Geschäften, die Organisation von Lieferungen und die Abwicklung des Zahlungsverkehrs stattfinden, keine Lagerung von Geschäftsunterlagen oder die Buchführung erfolgt sowie jeglicher Kontakt nur über das Telefon und Telefax hergestellt werden kann, deren Empfangsgeräte sich nicht an der angegebenen Anschrift befinden. Zur Verneinung des Scheinsitzes ist es nicht ausreichend, wenn die Post das Unternehmen unter der in der Rechnung angegebenen Anschrift nur deshalb erreicht, weil der Geschäftsführer in regelmäßigen Abständen die Post abholt.
3. Die Anfälligkeit des Handels mit Mobiltelefonen auf dem grauen Markt für Umsatzsteuerbetrug, ein erheblicher Umfang der beabsichtigten und durchgeführten Geschäfte sowie die Vermittlung der kurzfristig wechselnden Lieferanten durch die selbe Person, erfordern als Maßnahmen zur Vermeidung der Einbindung in eine der Umsatzsteuerhinterziehung dienende Lieferkette die Registrierung der IMEI-Nummern (individuelle Seriennummer der Mobiltelefone), die eingehende Überprüfung der Lieferanten vor Beginn der Geschäftsbeziehung und die Begründung von Zweifeln an der Herkunft der Mobiltelefone.
4. Eine den Vorsteuerabzug ausschließende, fahrlässige Einbindung in eine auf einen Umsatzsteuerbetrug angelegte Lieferkette liegt nicht nur dann vor, wenn sich die Gegenstände der Lieferung in einem „Karussell” in dem Sinne befinden, dass sie bei den Beteiligten mehrfach durchgehandelt, bzw. durch Rechnungen erfasst worden sind. Das Umsatzsteuersystem wird bereits dann missbraucht, wenn der Fiskus durch eine Absprache einmal um Umsatzsteuer betrogen wird.
Normenkette
UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; AO §§ 90, 370
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin zur Geltendmachung von Vorsteuern aus Rechnungen der Firma W HandelS GmbH für den Voranmeldezeitraum März 2000 berechtigt ist.
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft. Sie betreibt die Entwicklung, Herstellung, Bearbeitung, den Vertrieb und den Handel mit Hardware- und Software-Produkten auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik. Die Klägerin firmierte seit ihrer Gründung im Jahr 1992 bis zum 31.03.2001 unter dem Namen K. GmbH. Sie wurde zum 01.04.2000 zur K. AG umgewandelt. Im Jahr 2000 hatte die Klägerin einen Umsatz von ca. 600 Millionen DM, davon ca. 300 Millionen DM aus dem internationalen Handel mit Mobiltelefonen. Weitere ca. 300 Millionen DM wurden in dem Bereich der Belieferung des Fachhandels mit Mobiltelefonen umgesetzt. Die bei der Klägerin für den ersten Bereich des internationalen Handels mit Mobiltelefonen zuständige Abteilung „Trading” wurde durch den Zeugen Herrn H geleitet.
Bei der Ausstellerin der Rechnungen, die die verfahrensgegenständliche Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin ausgewiesen hat, handelt es sich um eine seit 1992 in das Handelsregister des Amtsgerichts M eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Firma W HandelS GmbH (nachfolgend: W.). Als Gegenstand des Unternehmens war der Handel mit Waren aller Art, insbesondere Import und Export – ausgenommen Einzelhandel mit Lebensmittel – Vermittlung von Waren und Dienstleistungen sowie Erbringung von Dienst- und Serviceleistungen jeder Art im Import und Export von Waren. Als Geschäftsführer der W waren im Streitzeitraum März 2000 in das Handelregister eingetragen Herr V sowie Herr W, beides Kaufmänner in M; beide Geschäftsführer hatten die Befugnis zur Einzelvertretung der W (auf den Auszug aus dem Handelsregister wird Bezug genommen, Bl. 129 der Gerichtsakte). Die W gab in den streitigen Rechnungen die Anschrift … in M an.
Der W war im Streitzeitraum ein eigener Telefonanschluss unter der Nummer … sowie ein Telefaxanschluss unter der Nummer … zugewiesen. Diese Anschlüsse wurden umgeleitet an Herrn E, den Geschäftsführer der Firma S (Sitz in der … Straße … in M, nachfolgend genannt: S.). Die W verfügte im Streitzeitraum über keine Büroräume an der Anschrift … in M. Auf einem Briefkasten der an der genannten Anschrift ansässigen Firma O GmbH befand sich jedoch ein Aufkleber mit dem Namen „W GmbH”. Eine eigene Klingel für die W befand ...