Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen im Klageverfahren. Aufhebungsantrag Hauftungsbescheid Lohnsteuer 1990
Leitsatz (redaktionell)
Eine zulässige Ergänzung der Ermessenserwägungen des FA i.S. des § 102 S. 2 FGO setzt voraus, dass die Ausübung von Ermessen erkennbar ist und liegt nicht mehr vor, wenn entweder ein Ermessen erstmalig ausgeübt oder die die Ermessensentscheidung tragenden Gründe ausgewechselt werden.
Normenkette
FGO § 102 S. 2; AO 1977 § 5
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden den Beteiligten je zur Hälfte auferlegt.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Ablehnung eines Antrages auf Aufhebung eines bestandskräftigen Haftungsbescheides nach § 130 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO – ermessensfehlerhaft ist.
Während einer im Jahre 1993 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin im November/Dezember 1990 an ihre Arbeitnehmer ein dreizehntes Monatsgehalt bezahlt habe und dies zu Unrecht getrennt vom Monatslohn nach der Monatstabelle 2. Halbjahr 1990 versteuert habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht (Blatt 53 der Haftungsakte) verwiesen. Mit Haftungsbescheid vom 31. August 1993 nahm der Beklagte – das Finanzamt – die Klägerin für Lohnsteuer 1990 i.H.v. DM 38.614,68 gemäß § 42 d EStG i.V.m. § 59 Abs. 3 EStG in Haftung. Die Inanspruchnahme erfolgte, weil ein Haftungsausschluss nicht vorliege, die Klägerin sich hiermit einverstanden erklärt habe, die Beträge vom Arbeitnehmer nicht nachgefordert werden könnten, die Inanspruchnahme nicht unbillig sei und kein entschuldbarer Rechtsirrtum vorliege. Im einzelnen wird auf den Haftungsbescheid Bezug genommen (Blatt 56 der Haftungsakte).
Mit Schreiben vom 13. November 1996 beantragte die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheides. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 1997 lehnte das Finanzamt die Aufhebung des Bescheides nach § 130 AO ab. Während des Einspruchsverfahrens machte die Klägerin u.a. geltend, der Bescheid sei rechtswidrig, weil er keine ausreichenden Ermessenserwägungen enthalte. Neuere Rechtsprechung zur Haftungsinanspruchnahme nach der AStVO sei erst nach Bestandskraft des Bescheides ergangen. Als unerfahrene DDR-Bürger sei man zuvor von der Richtigkeit der in der Lohnsteueraußenprüfung vertretenen Auffassung ausgegangen, die der Rechtsauffassung des BMF und des Sächsischen Finanzgerichts entsprochen habe. Diese Auffassung habe sich aber als falsch herausgestellt, wie sich später aufgrund eines Urteils des Thüringer FG und der Rechtsprechung des BFH ergeben habe. Damit habe sich die Sach- und Rechtslage nach Erlass des Haftungsbescheides geändert. Auf den Schriftsatz der Klägerin vom 15. Oktober 1998 wird Bezug genommen (Blatt 25 f. der Rechtsbehelfsakte).
Der Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 25. März 1999). Der Haftungsbescheid sei rechtmäßig. Ferner sei die Ablehnung seiner Aufhebung schon deshalb ermessensfehlerfrei, da die Klägerin zur Begründung des Antrages nur solche Argumente vorgetragen habe, welche sie im Einspruchsverfahren zum Haftungsbescheid hätte vortragen können.
Nach ständiger Rechtsprechung sei eine andere Beurteilung dann angezeigt, wenn beispielsweise eine nachträgliche Änderung der zugrunde gelegten Sach- oder Rechtslage gegeben sei. Davon sei im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Eine entsprechende Begründung habe die Klägerin nicht vorgetragen. Im einzelnen wird auf die Einspruchsentscheidung vom 25. März 1999 verwiesen (Blatt 32 bis 35 der Rechtsbehelfsakte).
Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 31. August 1993 sei rechtswidrig, da das auch im Rahmen der AStVO erforderliche Ermessen nicht ausgeübt sei. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass sich die Klägerin als Arbeitgeber in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden habe. Ferner verstoße die AStVO gegen die DDR-Verfassung, das Grundgesetz und das Prinzip der Gleichmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Besteuerung. Anders als im Lohnsteueraußenprüfungsbericht festgestellt, seien die Zahlungen im Oktober/November 1990 als Jahresendprämie erfolgt.
Bei der nach § 130 Abs. 1 AO zu treffenden Ermessensentscheidung sei das Finanzamt von der Rechtmäßigkeit des Bescheides ausgegangen, so dass es bereits deshalb die notwendigen Ermessenserwägungen unterlassen habe (Ermessensausfall). Das Finanzamt habe ferner nicht berücksichtigt, dass durch die Rechtsprechung des FG Thüringen und des BFH eine veränderte Rechtslage eingetreten sei. Auch sei die besondere Situat...