Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Vollstreckung eines tschechischen Vollstreckungstitels aufgrund eines Beitreibungsersuchens. Formelle Voraussetzungen des Beitreibungsersuchens. Ordnungsgemäße Bekanntgabe des Vollstreckungstitels. Direktzustellung des Vollsteckungstitels durch die tschechische Behörde. Prüfungskompetenz des Gerichts des ersuchten Mitgliedstaates nur hinsichtlich eines Verstoßes gegen den ordre public. Verjährung der Forderung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vollstreckung eines Zahlungsbescheids aufgrund eines Beitreibungsersuchens der Tschechischen Republik ist wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EG-BeitrG rechtwidrig und unzulässig, wenn die ersuchende Behörde den Vollstreckungstitel nicht in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie vorlegt (entsprechende Formvorschriften: Art. 7 Abs. 1 RL 76/308/EWG und 2008/55/EG). Der Mangel ist heilbar, so dass die Rechtswidrigkeit entfällt, sobald die ersuchende Behörde einen den gesetzlichen Formvorschriften genügenden Vollstreckungstitel vorlegt bzw. übermittelt.
2. Der Vollstreckung eines angefochtenen Bescheids steht weder das EG-Beitreibungsgesetz noch die Abgabenordnung entgegen.
3. Hat nicht die ersuchte Behörde im Auftrag der ersuchenden Behörde die Zustellung des Vollstreckungstitels gem. Art. 5 Abs. 1 der RL 76/308/EWG bzw. 2008/55/EG vorgenommen, sondern die um Beitreibung ersuchende Behörde den Vollstreckungstitel auf dem Postweg per Einschreiben mit Rückschein zugestellt, ist diese Maßnahme grundsätzlich durch die Behörden bzw. Gerichte des ersuchenden Mitgliedstaates nach Maßgabe der dortigen Rechtsvorschriften zu überprüfen. Das in Art. 5 der Richtlinien 76/308/EWG bzw. 2008/55/EG geregelte Zustellungsverfahren hat keinen abschließenden Charakter.
4. Eine Prüfung der vom tschechischen FA, als der um Beitreibung ersuchenden Behörde vorgenommenen Bekanntgabe des Vollstreckungstitels durch ein Gericht des ersuchten Mitgliedstaates hat grundsätzlich nicht zu erfolgen. Eine Prüfungsbefugnis der Behörde oder des Gerichts des ersuchten Mitgliedstaates besteht nur bezüglich eines Verstoßes gegen den ordre public (Verstoß gegen die öffentliche Ordnung).
5. Eine Vollstreckung in Deutschland würde die öffentliche Ordnung beeinträchtigen, wenn der Vollstreckungstitel der um Beitreibung ersuchenden Behörde eines Mitgliedstaats in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zu grundlegenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung stünde, so dass das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts nach deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen untragbar erschiene. Dies ist nicht der Fall, wenn die Bekanntgabe des Vollstreckungstitels nicht in deutscher, sondern in tschechischer Sprache und durch eine Kopie statt durch ein Original erfolgt.
6. Im Rahmen der von den Beitreibungsrichtlinien (76/308/EWG bzw. 2008/55/EG, 2010/24/EU) bzw. EG-BeitrG/EU-BeitrG) vorgesehenen Kompetenzverteilung sind Einwände gegen die Forderung und auch die Frage deren Erlöschens durch Verjährung vom der Behörde oder dem Gericht des ersuchten Mitgliedstaats grundsätzlich nicht zu prüfen. Dies ist vielmehr Sache der ersuchenden Behörde.
Normenkette
AO § 87 Abs. 1, § 257 Abs. 1 Nr. 3, §§ 258, 232; EG-BeitrG § 4 Abs. 1, § 8; EU-BeitrG; RL 76/308/EWG Art. 7 Abs. 1, 2a, Art. 17, 5, 2e, 2g; RL 2008/55/EG Art. 7 Abs. 1, 2a, Art. 17, 5, 12 Abs. 2 Unterabs. 2, Art. 15 Abs. 1, Art. 25; RL 2010/24/EU Art. 14
Nachgehend
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Vollstreckung aus dem Beitreibungsersuchen der Tschechischen Republik, betreffend den Zahlungsbescheid, solange unzulässig ist, bis die ersuchende Behörde den Vollstreckungstitel in einer gesetzlich zulässigen Form vorlegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger ¾, der Beklagte trägt ¼.
3. Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Zulässigkeit der Vollstreckung eines tschechischen Vollstreckungstitels aufgrund eines Beitreibungsersuchens.
Der Kläger war im Jahr 2000 von seinem deutschen Arbeitgeber vorübergehend an ein Partnerunternehmen in Tschechien abgeordnet worden. Im Jahr 2004 erhielt er eine Aufforderung der tschechischen Steuerbehörde, eine Steuererklärung in Tschechien abzugeben. Nach Einreichung der Steuererklärung erließ das tschechische Finanzamt X einen Zahlungsbescheid über Einkommensteuer für das Jahr 2000. Die Steuer hatte der Kläger bereits am 23. Dezember 2004 an das tschechische Finanzamt überwiesen.
Gegen den Kläger erging am … ein Bescheid des Finanzamts X. Dieser Bescheid wurde dem Kläger am … in tschechischer Sprache durch das tschechische Finanzamt per Post (Ein...