Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Aufhebungsbescheids nach zweimaliger Bewilligung von Kindergeld für denselben Zeitraum
Leitsatz (redaktionell)
1. Etwaige bei der Auslegung eines Verwaltungsaktes verbleibende Zweifel sind zugunsten des Steuerpflichtigen – und damit zugunsten der verfahrensrechtlich gebotenen Form – aufzulösen.
2. Wurde mit zwei an aufeinanderfolgenden Tagen ergangenen Bescheiden jeweils Kindergeld für denselben Zeitraum bewilligt, ohne dass erkennbar war, in welchem Verhältnis beide Bewilligungsbescheide zueinander standen, so kann ein ausdrücklich auf den zweiten Bescheid bezogener Aufhebungsbescheid nicht dahin ausgelegt werden, dass durch ihn auch der einen Tag zuvor ergangene, erste Bewilligungsbescheid mit aufgehoben worden wäre.
Normenkette
AO § 124 Abs. 1; BGB § 133; EStG § 62 Abs. 1, § 70 Abs. 2
Tenor
1. Der Rückforderungsbescheid vom 4. Juni 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2016 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung von Kindergeld.
Der Kläger ist Abzweigungsempfänger von Kindergeld, das seine Mutter unter dem 17. Oktober 2011 beantragt hatte. Für den Kläger, der im August 1990 geboren ist, gab sie an, er suche einen Ausbildungsplatz. Nach den in der übergebenen Kindergeldakte vorhandenen Bestätigungen der Arbeitsverwaltung ist der Kläger dort als noch nicht vermittelter Bewerber für eine berufliche Ausbildungsstelle seit dem 29. September 2011 registriert (Bescheinigung vom 15. Dezember 2011) und war es zuvor bis zum 28. September 2011 (Bescheinigung vom 3. September 2015). Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 30. Januar 2012 Kindergeld für den Kläger ohne Angabe eines Bewilligungszeitraums fest und zweigte dieses mit Wirkung ab September 2011 in voller Höhe an den Kläger ab. Einen weiteren Bewilligungsbescheid erließ sie am 31. Januar 2012. In diesem setzte sie Kindergeld für den Kläger mit Wirkung ab September 2011 fest und fügte nähere Angaben zu den Mitwirkungspflichten der Kindergeldberechtigten hinzu, insbesondere zu ihren Anzeigepflichten in Bezug auf die Ausbildungsplatzsuche und-situation des Klägers.
Am 4. Juni 2015 erließ die Beklagte einen Verwaltungsakt an die Mutter des Klägers, in dem sie formulierte, die „am 31.01.2012 erfolgte Festsetzung des Kindergeldes” für den Kläger werde mit Wirkung ab September 2011 gemäß § 70 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) aufgehoben. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe eine angeforderte „Bestätigung der zuständigen Stelle betreffs ausbildungssuchend bzw. Eigenbemühungen für eine Ausbildung nicht eingereicht”. Gegenüber dem Kläger erließ sie einen Rückforderungsbescheid gleichen Datums, in dem sie einen Betrag von 7.728,– EUR für den Zeitraum von September 2011 bis Februar 2015 geltend machte. Im Einspruchsverfahren reduzierte die Beklagte den Rückforderungsbetrag um das Kindergeld für den Monat September 2011 und wies den Einspruch im Übrigen zurück.
Im Klageverfahren hat die Beklagte den Rückforderungsbetrag weiter um das Kindergeld für die Monate Oktober bis Dezember 2011 reduziert. Aufgrund der Bescheinigung der Arbeitsverwaltung vom 15. Dezember 2011 bestehe für diesen Zeitraum ein Kindergeldanspruch, da der Kläger als Bewerber um eine Ausbildungsstelle geführt worden sei. Nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten hat das Gericht das Verfahren für den genannten Zeitraum abgetrennt.
Für den verbleibenden Zeitraum trägt der Kläger vor, er verfüge nicht mehr über die geforderten Kindergeldbeträge. Das Geld sei verbraucht. Das Gericht hat Hinweise zum Streitfall erteilt. In Reaktion auf diese hat der Kläger die Beklagte aufgefordert, der Klage stattzugeben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 4. Juni 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Bislang habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt, dass er sich im verbliebenen Zeitraum um einen Ausbildungsplatz bemüht habe. Da die ursprüngliche Festsetzung wegen der bescheinigten Ausbildungssuche korrekt gewesen sei, habe diese ab Wegfall der Voraussetzungen geändert werden können. Der Kläger könne sich gegenüber der Rückforderung nicht darauf berufen, dass er nicht mehr bereichert sei.
Das Gericht hat den Hinweis erteilt, der zweite Bewilligungsbescheid vom 31. Januar 2012 lasse, soweit sich die Bewilligungszeiträume deckten, nicht erkennen, in welchem Verhältnis er zum ersten Bewilligungsbescheid vom 30. Januar 2012 stehe. Dies könne auch nicht durch Auslegung geklärt werden. Da der Aufhebungsbescheid vom 4. Juni 2015 den zweiten Bewilligungsbescheid vom 31. Januar 2012 mit der ...