Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung durch persönliche Übergabe und Postzusendung als einheitliche Kündiguserklärung. Ersetzung der Stellungnahme des Betriebsrats durch einen Interessenausgleich mit Namensliste. Annahme der Verhinderung bei Nichterscheinen des eingeladenen Betriebsratsvorsitzenden
Leitsatz (redaktionell)
1. Es liegt nur eine einheitliche Kündigung vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine schriftliche Kündigung persönlich übergibt und ihm eine gleichlautende Erklärung nochmals per Post zusendet; die Kündigung ist dann mit dem ersten Erhalt zugegangen.
2.
- Eine Kündigung ist dann rechtsunwirksam, wenn sie der Arbeitgeber vor einer nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderlichen, den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden, Anzeige ausgesprochen hat.
- Der Arbeitgeber ist nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG verpflichtet, der schriftlichen Anzeige eine Stellungnahme des Betriebsrates zu den Entlassungen beizufügen. Nach § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG bzw. § 125 Abs. 2 ersetzt ein mit der Anzeige an die Bundesagentur für Arbeit vorgelegter Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.
3.
- Zwar ist nach § 26 Abs. 2 S. 2 BetrVG der/die stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrates nur im Falle der Verhinderung des Vorsitzenden des Betriebsrates empfangsberechtigt. Eine wirksame Übergabe des Anhörungsschreibens an den/die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende liegt jedoch dann vor, wenn die Arbeitgeber aufgrund der Gesamtumstände von einer Verhinderung des Vorsitzenden des Betriebsrates ausgehen durfte.
- Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitgeber den Betriebsratsvorsitzenden des örtlichen Betriebsrats und dessen Stellvertreter ordnungsgemäß zur Anhörung von betriebsbedingten Kündigungen geladen und nur der Stellvertreter und ein weiteres Betriebsratsmitglied erscheinen; dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine langfristig angekündigte Einladung zu einem sehr bedeutenden, die Existenz des Unternehmens berührenden Termins gehandelt hat.
Normenkette
BetrVG § 26 Abs. 2 S. 2, § 50 Abs. 1 S. 1, § 111 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 112 Abs. 1 S. 2; BGB § 130 Abs. 1 S. 1, §§ 133, 157; InsO § 125 Abs. 1-2; KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 5 Sätze 1, 4, § 4 S. 1, §§ 7, 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 2; Richtlinie 98/59/EG Art. 2
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Urteil vom 02.09.2009; Aktenzeichen 15 Ca 5230/08) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 2. September 2009 – 15 Ca 5230/08 – wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen betriebsbedingten Kündigung der Beklagten vom 26. November 2008 zum 28. Februar 2009.
Die Beklagte betreibt bundesweit zahlreiche Modefachgeschäfte. Die 1975 geborene Klägerin war seit dem 1. Februar 2006 in dem Kaufhaus der Beklagten in dem … in … zunächst als Mitarbeiterin an der Kasse und seit September 2008 als Mitarbeiterin im Verkauf tätig. Ihr durchschnittliches monatliches Bruttogehalt betrug 1.234,04 Euro. Über das Vermögen der Beklagten wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 1. November 2008 (– 100 IN 128/08 –) das Insolvenzverfahren eröffnet und Eigenverwaltung im Sinne des § 270 InsO angeordnet. Zum Sachverwalter der Gläubiger wurde Rechtsanwalt … bestellt. Als Sanierungsmaßnahme plante die Beklagte die Schließung etwa der Hälfte der 47 Modefachgeschäfte zum 28. Februar 2009 sowie weitere umfangreiche Personalabbaumaßnahmen in den fortzuführenden Filialen und der Hauptfiliale in … Zur Umsetzung dieser Sanierungsmaßnahmen, insbesondere zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste lud der Gesamtbetriebsratsvorsitzende in Absprache mit der Beklagten zu einer Betriebsräteversammlung am 17. November 2008 die Betriebsratsvorsitzenden und ihre Stellvertreter aller 47 Modefachgeschäfte ein. Auf dieser Betriebsräteversammlung kam es zu einem Interessenausgleich mit Namensliste zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat (Anlage B 2.1, Bl. 40 ff d. A.).
Dieser Interessenausgleich sah die Schließung von 24 Filialen, darunter auch die Filiale in … sowie einen Personalabbau von mehr als einem Drittel der ca. 3.700 Beschäftigten vor. Die Betriebsparteien unterschrieben nicht nur den Interessenausgleich, sondern jede einzelne Seite der in Bezug genommenen Namensliste.
Die Namensliste enthielt die Namen aller 37 in der Filiale … Beschäftigten, darunter auch den Namen der Klägerin. Entsprechend der Ankündigung in dem Einladungsschreiben vom 12. November 2008 (Anlage B 9, Bl. 104 d. A.) wurden den örtlichen Betriebsräten jeweils der Interessenausgleich mit Namensliste sowie die Anhörungen zu den beabsichtigten Kündigungen übergeben. An der Betriebsräteversammlung vom 17. November 2008 nahm nicht der Betriebsratsvorsitzende der Filiale … …, sondern u. a. die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende … teil. Ihr wurde das Anhörungsschreiben vom...