Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschein des Zugangs eines Verwaltungsakts. Rechtsschutzbedürfnis zur Klageerhebung. Voraussetzungen der Zugangsvermutung des § 37 Abs 2 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsschutzbedürfnis zur Klageerhebung kann auch dann gegeben sein, wenn der streitige Bescheid eventuell nicht zugegangen ist, die Beklagte jedoch den Rechtsschein eines Zugangs setzt.
2. Die Zugangsfiktion nach § 37 Abs 2 SGB 10 setzt die Dokumentation der Aufgabe zur Post durch datierten Absendevermerk des zuständigen Sachbearbeiters voraus.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 11. November 2002 wird abgeändert:
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten nunmehr noch, ob die Beklagte der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.
Im Hauptsacheverfahren war zwischen den Beteiligten die teilweise Aufhebung von Arbeitslosengeld (Alg) und Unterhaltsgeld (Uhg) betreffend die Zeiträume vom 01.01.1998 bis zum 03.05.1998 und vom 04.05.1999 bis zum 09.09.1999 sowie die Erstattung des sich hieraus ergebenden überzahlten Betrages streitig.
Am 13.08.2001 hat die Klägerin gegen Rücknahme- und Erstattungsbescheide mit Datum vom 22.06.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2001 Klage erhoben.
Sie hat geltend gemacht, auf ihre Stellungnahme zum Anhörungsschreiben vom 30.05.2000 sei - trotz mehrfacher Anfragen - keine Reaktion der Beklagten mehr erfolgt. Am 04.05.2001 habe ihr Prozessbevollmächtigter eine telefonische Mitteilung der Sachbearbeiterin der Beklagten erhalten, dass bereits ein Bescheid zu Ungunsten der Klägerin ergangen sei.
Der in der Akte befindliche Bescheidentwurf, datiert vom 22.06.2000, sei jedoch weder dem Prozessbevollmächtigten noch der Klägerin selber jemals zugegangen.
Mit Schreiben vom 07.08.2001 habe die Beklagte ihr Zahlungsmitteilungen betreffend die fällig gewordenen Erstattungsforderungen u. a. zu Alg und Uhg mit einem Gesamtbetrag von 6.581,20 DM zugesandt.
Ausweislich der Leistungsakte hatte der Prozessbevollmächtigte noch am 04.05.2001 gegen die Ablehnungsentscheidung vorsorglich Widerspruch eingelegt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2001 verwarf die Beklagte den Widerspruch wegen Verfristung als unzulässig.
Am 13.08.2001 hat sich die Klägerin an das Sozialgericht Chemnitz (SG) gewandt.
Mit Bescheid vom 17.05.2002 hat die Beklagte die streitgegenständlichen Bescheide zurückgenommen und die geltend gemachte Forderung storniert. Daraufhin hat die Klägerin die Klage am 10.06.2002 zurückgenommen. Da die Beklagte nicht bereit war, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten, hat sie beim SG beantragt, die Beklagte zur Erstattung der Kosten zu verpflichten.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Der Widerspruch sei verfristet gewesen. Beide Aufhebungsbescheide (sowohl hinsichtlich Alg als auch Uhg) seien in der Verwaltungsakte enthalten. Sie seien am 22.06.2000 abgesandt worden. Da kein Postrücklauf erfolgt sei, sei von einem Zugang auszugehen.
Mit Beschluss vom 11.11.2002 hat das SG den Kostenerstattungsantrag zurückgewiesen. Der Widerspruch vom 04.05.2001 sei - unabhängig von einem Zugang - in jedem Fall unzulässig gewesen. Im Falle des Zugangs sei er nicht innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist erfolgt. Für den Fall des fehlenden Zugangs habe noch kein wirksamer Bescheid vorgelegen, so dass kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben sei. Richtigerweise hätte die Klägerin von der Beklagten eine “nochmalige" Zusendung der Bescheide fordern müssen.
Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 18.11.2002 Beschwerde eingelegt. Das SG hat dieser nicht abgeholfen und die Akten dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.
Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, auf Grund des Telefonats vom 04.05.2001 habe sich durchaus ein Rechtsschein ergeben, welcher zur Einlegung des Widerspruchs berechtigt habe. Der Prozessbevollmächtigte habe nicht sicher sein können, dass ungeachtet seiner Bevollmächtigung dennoch der Klägerin selber zu irgendeinem Zeitpunkt ein Bescheid zugegangen sei.
Die Klägerin beantragt daher sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 11. November 2002 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie führt hierzu aus, auch wenn man dem Vortrag der Klägerin folgte, sei kein Rechtsschein gegeben gewesen. Es habe insbesondere keinen sachlichen Grund gegeben, noch am Tag des Telefonats “auf Verdacht" einen Widerspruch einzulegen. Zumindest wäre dieser später zurückzunehmen und eine Übersendung der bekannt gegebenen Entscheidung zu fordern gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Sie ist auch in der Sache begründet.
Entgegen dem Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz (SG) vom 11. November 2002 hat die Beklagte der Kläger...