Rz. 6
Der Bekanntgabewille muss während des ganzen Bekanntgabevorgangs bis zu dem Zeitpunkt bestehen, zu dem der Verwaltungsakt den Machtbereich der Behörde verlässt. Hatte der zuständige Beamte ursprünglich den Bekanntgabewillen, hat er diesen aber vor Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post oder der elektronischen Absendung aufgegeben, ist die Bekanntgabe grundsätzlich unwirksam, da sie nicht (mehr) vom Bekanntgabewillen der Behörde (des zuständigen Beamten) getragen wird. Allerdings darf die Aufgabe des Bekanntgabewillens keine innere Tatsache des Beamten bleiben. Die Aufgabe des Bekanntgabewillens ist nur dann beachtlich, wenn sie sich in einer ausdrücklichen Aufhebung der Verfügung (Aktenvermerk o. Ä. vor Absendung des Verwaltungsakts) zum Erlass des Verwaltungsakts niederschlägt.
Rz. 7
Wird der Bekanntgabewille nach dem maßgebenden Zeitpunkt der Aufgabe zur Post oder der elektronischen Absendung aufgegeben, ist dies grundsätzlich unbeachtlich, da sich der Verwaltungsakt dann nicht mehr in der Organisationsgewalt der Behörde befand, ihr entgegenstehender Wille also keine Geltung mehr erlangen konnte. Auch in diesem Fall liegt aber keine wirksame Bekanntgabe vor, wenn dem Bekanntgabeempfänger vor oder gleichzeitig mit der Bekanntgabe von der Behörde mitgeteilt wird, der Bescheid solle nicht gelten In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es sich bei der Zugangsfiktion gem. § 122 Abs. 2 AO um eine echte Zugangsfiktion und nicht um eine Zugangsvermutung handelt. Steuerlich wird der Zugang unabhängig von einem tatsächlichen früheren Zugang gem. § 122 Abs. 2 AO fingiert. Da der Zugang eines zur Post aufgegebenen Verwaltungsakts daher nach drei Tagen erfolgt, kann innerhalb dieser Frist ein Widerruf erfolgen. Auch wenn der Bescheid dem Stpfl. nachweislich tatsächlich früher zugegangen ist, handelt es sich rechtlich um einen Widerruf vor Zugang.
Rz. 8
Da es sich bei einem Verwaltungsakt um eine empfangsbedürftige Willensäußerung handelt, die erst mit Bekanntgabe Wirkung entfaltet, können ergänzend die Regelungen des BGB über empfangsbedürftige Willenserklärungen herangezogen werden. Für den Zugang ist insbesondere die Regelung des § 130 BGB von Bedeutung. Gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB wird eine Willenserklärung nicht wirksam, wenn vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift kann auch ein Verwaltungsakt widerrufen werden, ohne dass die Voraussetzungen der §§ 130, 131 AO oder §§ 170ff. AO vorliegen müssen. Der Widerruf kann dabei formfrei erfolgen.
Rz. 9
Schriftliche oder elektronische Willenserklärungen ohne Bekanntgabewillen werden mangels einer auf dem Willen des Berechtigten beruhenden Begebung nicht existent; sie begründen grundsätzlich keine Rechtsfolgen aus einem Rechtsschein, selbst dann nicht, wenn der Aussteller der Willenserklärung ihr In-Verkehr-Bringen fahrlässig verursacht hat.
Rz. 10
Der Verwaltungsakt ist jedoch wirksam bekannt gegeben, wenn bei der Bildung und Ausübung des Bekanntgabewillens lediglich die verwaltungsinternen Zuständigkeitsgrenzen überschritten wurden, die Bekanntgabe also von einem nach der verwaltungsinternen Zuständigkeitsregelung unzuständigen Beamten angeordnet worden ist. Es genügt, dass der Bekanntgabewille von einem Beamten gebildet worden ist, der nach seiner Stellung zum Erlass von Verwaltungsakten der infrage stehenden Behörde befugt ist; es muss nicht der gerade nach der internen Geschäftsverteilung zuständige Beamte sein. Beim Handeln eines unzuständigen Beamten der zuständigen Behörde ist der Verwaltungsakt von der zuständigen Behörde veranlasst und daher wirksam. Interne Zuständigkeitsregelungen der Behörde sind dabei für die Wirksamkeit der Bekanntgabe unbeachtlich.
Rz. 11–12 einstweilen frei