Rz. 20
Die Unrichtigkeit muss offenbar sein; wann dies der Fall ist, ist jedoch umstritten. Der Streit dreht sich vor allem um die Frage, ob der Fehler gerade für den Stpfl. offenbar sein muss (so die hier vertretene Ansicht; vgl. Rz. 21), oder ob ein Fehler bereits dann offenbar ist, wenn er sich bei Offenlegung des Akteninhalts (den der Stpfl. regelmäßig nicht kennt) für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erweisen würde (so die Rspr.; vgl. Rz. 23).
Rz. 21
Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Unrichtigkeit offenbar, wenn sie für alle Beteiligten durchschaubar, erkennbar, eindeutig, augenfällig, handgreiflich und nicht zu bezweifeln ist. Das ist bei Schreib- und Rechenfehlern i. d. R. der Fall, da hierüber vernünftigerweise ein Streit nicht entstehen kann. Ob für einen Beteiligten eine "offenbare" Unrichtigkeit vorliegt, beurteilt sich danach, ob sie nach der Lebenserfahrung durchschaubar ist. Das bedeutet, dass die Unrichtigkeit aus dem dem Beteiligten bekannt gegebenen Verwaltungsakt oder den ihm bekannten Unterlagen abzulesen sein muss; es ist daher nicht Voraussetzung, dass die offenbare Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst erkennbar ist. Dabei ist nicht auf den konkreten Beteiligten und dessen subjektive Fähigkeiten abzustellen, sondern auf einen objektiven Maßstab; zu fragen ist, ob für einen redlichen Beteiligten unter Zuhilfenahme aller, aber auch nur der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen die Unrichtigkeit offenbar war. Maßstab ist dabei die Erkennbarkeit für einen objektiven Dritten, der alle, aber auch nur die Unterlagen und Kenntnisse des Stpfl. zur Verfügung hat; Erkennbarkeit für gerade diesen Stpfl. (subjektiver Maßstab) ist nicht erforderlich. Auch hier ist auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Dies folgt aus § 124 Abs. 1 S. 2 AO und der dort vertretenen Erklärungstheorie, wonach für den Inhalt des Verwaltungsakts der bekannt gegebene Inhalt maßgebend ist. Wenn die Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit nur Klarstellungsfunktion hat (vgl. Rz. 1), kann sich dies nur auf den bekannt gegebenen Inhalt beziehen, nicht z. B. auf den Akteninhalt; der ist nicht bekannt gegeben und kann daher auch nicht "klar gestellt" werden. Eine Unrichtigkeit kann auch nicht offenbar sein, wenn sie erst durch Ermittlung von subjektiven Einschätzungen, Beurteilungen, Würdigungen o. ä. von Personen deutlich wird.
Daraus folgt z. B., dass ein Vorbehalt oder ein Vorläufigkeitsvermerk nicht nachgeholt werden kann, wenn er sich zwar aus den Akten ergibt, nicht aber im Steuerbescheid enthalten ist.
Rz. 21a
Sofern es sich um Fehler des Stpfl. handelt, die sich das FA durch Übernahme zu eigen macht, muss dieser Fehler auch für das FA offenbar sein. Dazu muss sich der Fehler aus der Steuerklärung, den eingereichten Anlagen oder den Akten des FA ergeben. Es ist nicht ausreichend, wenn dies nur für den Stpfl. offenbar ist. Auch hier ist auf den Maßstab eines objektiven Dritten abzustellen. Unerheblich ist aber, ob der Finanzbeamte die Unterlagen tatsächlich wahrgenommen hat. Auch insoweit ist auf einen objektiven Maßstab abzustellen.
Dabei muss es sich aber auch objektiv um eine offenbare Unrichtigkeit handeln. Wenn sich dies nur aus Sicht der FinVerw als offenbare Unrichtigkeit darstellt, ist dies nicht ausreichend. In diesem Fall liegt objektiv keine offenbare Unrichtigkeit vor, die gem. § 129 AO korrigiert werden könnte.
Rz. 22
Die offenbare Unrichtigkeit kann sich damit aus dem Steuerbescheid selbst (inkl. Anlagen und Erläuterungen), aber auch aus in Bezug genommenen Schriftstücken oder der eigenen Steuererklärung des Stpfl. ergeben. Wesentliche Bedeutung kommt dabei auch dem Akteninhalt zu, da die offenbare Unrichtigkeit bei Erlass des Bescheids vorliegen muss. So liegt eine offenbare Unrichtigkeit vor, wenn Einträge in die Steuererklärung nicht vorgenommen werden, obwohl eine entsprechender Nachweis an das FA mitgeschickt wird. Es sind auch andere, außerhalb der jeweiligen Akte bekannten Tatsachen zu berücksichtigen. Ebenso sind Unterlagen zu anderen Steuerarten desselben Stpfl. zu berücksichtigen. Akten anderer Stpfl. können insoweit nicht berücksichtigt werden. Die unrichtige Übernahme der Ergebnisse einer Außenprüfung aus dem Prüfungsbericht ist dann eine offenbare Unrichtigkeit, wenn der Beamte die Ergebnisse unverändert, ohne eigene abweichende Beurteilung, übernehmen wollte; dies wird i. d. R. durch den Hinweis in dem Bescheid indiziert, der Bescheid beruhe auf dem Außenprüfungsbericht. Dabei liegt auch eine offenbare Unrichtigkeit vor, wenn die Prüfungsergebnisse doppelt in dem Bescheid berücksichtigt wurden. Eine offenbare Unrichtigkeit kann sich auch aus dem Widerspruch verschiedener Steuererklärungen für unterschiedliche Steuern für denselben Vz ergeben.
Sofern das FA aber auf Unterlagen aus anderen Vz zurückgreifen muss, gehören diese Unterlagen aus dem anderen Vz nicht me...