Rz. 18
Zentraler Anknüpfungspunkt der Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die eigene abgegebene Steuererklärung. Die Abgabe einer Erklärung ist demnach begrifflich Voraussetzung für die Korrekturpflicht (Rz. 4). Ist die Erklärung noch nicht abgegeben, besteht die Steuererklärungspflicht unverändert fort, nicht aber die Pflicht nach § 153 AO. Eine Erklärung gilt als abgegeben, wenn sie der zuständigen Finanzbehörde zugegangen ist, sodass sie im normalen Arbeitsablauf zur Kenntnis genommen werden könnte. Es kommt somit nicht darauf an, dass die Finanzbehörde die Erklärung auch tatsächlich schon zur Kenntnis genommen hat und Rechtsfolgen daraus veranlasst hat. Für das Bestehen der Anzeigepflicht ist es ohne Bedeutung, ob der Anzeigepflichtige die Erklärung selbst abgegeben hat oder die Abgabe durch einen Dritten für den Erklärungspflichtigen erfolgt ist.
Rz. 19
Die Erklärung muss für das Besteuerungsverfahren relevant sein. Erklärungen i. d. S. sind eindeutig Steuererklärungen, aber auch Steueranmeldungen.
Auch eine wegen der Demenz des Stpfl. unwirksame Einkommensteuererklärung führt zu einer Berichtigungspflicht des Erben. Kommt er dem nicht nach, kann eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen vorliegen.
Rz. 20
Sonstige steuerlich relevante Erklärungen, wie Auskünfte oder Angaben z. B. zur Erlangung eines begünstigenden Verwaltungsakts, etwa einer Stundung, eines Erlasses oder einer Vergütung, fallen hingegen nicht unter diesen Begriff. Diese Auffassung ist allerdings durchaus umstritten. Die weitgehende Begriffsbestimmung der Gegenmeinung ist indes nicht zutreffend. Hiergegen spricht einmal die Gesetzessystematik. Die Vorschrift ist dem 2. Unterabschnitt unter der Überschrift "Steuererklärungen" zugeordnet und folgt hier ihrem Sinngehalt nach aus der in § 150 Abs. 2 AO besonders normierten Wahrheitspflicht (Rz. 2). Wenn die Vorschrift über den Steuererklärungsbereich hinaus Gültigkeit hätte haben sollen, hätte diese im Rahmen des § 90 AO im 3. Teil (Allgemeine Verfahrensvorschriften, 1. Abschnitt: Verfahrensgrundsätze, 3. Unterabschnitt: Besteuerungsgrundsätze) angesiedelt werden müssen. Dafür, dass nur Erklärungen im Steuerfestsetzungsverfahren die Berichtigungspflicht auslösen können, spricht neben der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Festsetzungsfrist (Rz. 26) ferner der Vergleich mit § 153 Abs. 1 Nr. 2 AO. Auch hier liegt der zu berichtigende Fehler im Steuerfestsetzungsverfahren, nur dass die Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern die Festsetzung entbehrlich macht. Zudem wird der Begriff "Steuerverkürzung" verwendet, der sich auf die Steuerfestsetzung bezieht. Dem Begriff der Steuerverkürzung steht in § 370 AO aber als selbstständiges Erfolgsmerkmal der Begriff "nicht gerechtfertigter Steuervorteil" gegenüber. Unrichtige Anträge auf Stundung, Billigkeitserlass oder Vergütungen bewirken keine Steuerverkürzungen, sondern führen zur Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile. Diese begriffliche Differenzierung in § 370 AO hat der Gesetzgeber selbst gewählt. Da in § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Berichtigungspflicht für die Fälle, dass ein ungerechtfertigter Steuervorteil erlangt werden könnte oder erlangt worden ist, nicht begründet wird, sondern hierfür begrifflich eine Anzeigepflicht bei unberechtigter Steuervergünstigung bestehen müsste, und aufgrund der systematischen und inhaltlichen Bezugnahme auf § 150 AO, beschränkt sich der Begriff "Erklärung" inhaltlich auf Steuererklärungen und Steueranmeldungen. Sonstige fehlerhafte Erklärungen oder Anträge lösen keine Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO aus. Zumindest kommt gemäß Art. 103 Abs. 2 GG und § 2 Abs. 2 StGB, im Hinblick auf diese nicht eindeutige Gesetzesregelung, eine strafrechtliche Ahndung des Unterlassens der Berichtigung "sonstiger Erklärungen" nicht in Betracht.