Rz. 33

Nach der Rechtsprechung[1] bleibt der Nachprüfungsvorbehalt auch dann bestehen, wenn der Änderungsbescheid, der eine unter Vorbehalt stehende Steuerfestsetzung ändert, selbst den Vorbehalt nicht enthält. Der Änderungsbescheid nehme den Regelungsinhalt des Ursprungsbescheids auf und modifiziere ihn. Im Übrigen bleibe der Ursprungsbescheid bestehen.[2] Ordne die Finanzbehörde den Nachprüfungsvorbehalt einmal an, gelte er bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung oder bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung.[3] Dies gelte auch für Änderungen nach einer Außenprüfung.[4]

 

Rz. 34

Diese Rechtsprechung ist abzulehnen. Es gebieten nicht nur das Gebot der Rechtssicherheit und die § 124 Abs. 1 S. 2 AO zugrunde liegende Erklärungstheorie[5], dass die Finanzbehörde – will sie den Nachprüfungsvorbehalt aufrechterhalten – diesen im Änderungsbescheid wiederholt. Die Rechtsprechung verkennt darüber hinaus das Verhältnis zwischen ursprünglichem Bescheid und Änderungsbescheid.[6] Soweit die Rechtsprechung versucht, den Gegenstand der inhaltlichen Bescheidänderung durch einen Vergleich des Änderungsbescheids mit dem geänderten Bescheid zu bestimmen[7], verkennt sie, dass die bloße Abwesenheit eines Hinweises auf eine Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung den Empfänger des Bescheids nicht erkennen lässt, dass der Vorbehalt aufrechterhalten bleiben soll. Vielmehr könnte auch von einer konkludenten oder stillschweigenden Aufhebung auszugehen sein.[8] Zudem vermag die Rechtsprechung nicht zu erklären, weshalb sie bei der Fortgeltung eines gesetzlich angeordneten Vorbehalts der Nachprüfung die ausdrückliche Aufrechterhaltung in einem Änderungsbescheid verlangt (s. hierzu unter Rz. 35).

 

Rz. 35

Die Rspr. des BFH, dass bei einer Änderungsveranlagung der Vorbehalt weiter gilt, wenn er nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist, soll nur für die Fälle der Beifügung des Vorbehalts durch die Behörde gelten. Nicht anwendbar ist diese Rspr. daher, wenn die Steuerfestsetzung kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt steht, wie z. B. bei Steueranmeldungen i. S. d. § 167 AO. In diesen Fällen entfällt der Vorbehalt, wenn das FA nach Eingang der Steueranmeldung erstmals eine Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt vornimmt.[9] Dies gilt jedoch nur, wenn der Vorbehalt seiner Natur nach überhaupt aufhebbar ist, nach § 164 Abs. 1 S. 2 AO also nicht bei Vorauszahlungen (vgl. Rz. 52f.).

 

Rz. 36

Anders ist es jedoch, wenn der Einspruch gegen eine Vorbehaltsfestsetzung zurückgewiesen wird. Die Einspruchsentscheidung tritt nicht vollen Umfangs an die Stelle der ursprünglichen Steuerfestsetzung und verdrängt sie, sondern verändert nach § 44 Abs. 2 FGO nur seine Gestalt[10], sodass sie die Steuerfestsetzung einschließlich der Nebenbestimmung aufrechterhält. Der Vorbehalt muss also in einer Einspruchsentscheidung ausdrücklich aufgehoben werden. Ist er in der Einspruchsentscheidung nicht angesprochen, bleibt er bestehen.[11]

 

Rz. 37

Das gilt auch, wenn die Steuer in der Einspruchsentscheidung abweichend festgesetzt wird. Auch dann tritt die Einspruchsentscheidung nicht vollen Umfangs an die Stelle der Steuerfestsetzung, verdrängt sie also nicht, sondern ändert ihren Inhalt nur punktuell. Daher wird nicht die Einspruchsentscheidung durch die Klage angefochten, sondern nach § 44 Abs. 2 FGO die Steuerfestsetzung in der Gestalt, die sie durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat. Zum teilweisen Wegfall des Vorbehalts aufgrund der Rechtskraft eines Urteils s. Rz. 75.

 

Rz. 38

Wurde ein Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung durch einen vorbehaltlosen Bescheid ersetzt, und wird dieser Bescheid auf Anfechtung des Stpfl. ersatzlos aufgehoben, lebt der ursprüngliche Bescheid wieder auf, und zwar einschließlich des Vorbehalts. Der Vorbehalt ist Bestandteil des Bescheids. Wird der Bescheid wieder wirksam, wird damit auch der Vorbehalt wieder wirksam. Die Aufhebung des Änderungsbescheids bewirkt ein vollständiges Wiederaufleben des ursprünglichen Bescheids, nicht nur ein teilweises, d. h. ohne den Vorbehalt

 

Rz. 39

Auch die übrigen Änderungsvorschriften der §§ 173175 AO ermöglichen nicht die nachträgliche Beifügung des Vorbehalts. Alle diese Vorschriften ermöglichen nur die punktuelle Durchbrechung der Bestandskraft, während die nachträgliche Beifügung des Vorbehalts eine umfassende Durchbrechung der Bestandskraft darstellen würde.[12] Die nachträgliche Beifügung des Vorbehalts im Rahmen einer Änderung nach §§ 173175 AO würde im Ergebnis eine Rückkehr der "Gesamtaufrollung" bedeuten.[13] Auch im Rahmen einer Außenprüfung kann daher der Vorbehalt nicht nachträglich beigefügt werden.

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