1 Allgemeines
Rz. 1
Anders als §§ 34, 35 AO begründet die Vorschrift keine steuerlichen Pflichten. Die Vorschrift lässt vielmehr für den Fall des Erlöschens der Vertretungs- oder Verfügungsmacht die zur Zeit des Bestehens dieser Befugnisse entstandenen Pflichten grundsätzlich bei ihrer Beendigung unangetastet. § 36 AO enthält damit nicht die Verlängerung oder Ausdehnung der Pflichten nach §§ 34, 35 AO, sondern löst lediglich das Schicksal der bereits entstandenen steuerlichen Pflichten von dem Schicksal seiner Grundlage: Die einmal entstandenen Verpflichtungen erlöschen nicht akzessorisch mit dem Ende der Vertretungs- oder Verfügungsmacht. Dieses Aufrechterhalten der entstandenen Pflichten soll den Finanzbehörden den Zugriff insbesondere auf das Wissen der Personen erhalten, die für den Vertretenen tätig und an dessen Stelle Wissensträger geworden sind. Außerdem ermöglicht die Vorschrift die Haftungsinanspruchnahme nach §§ 69ff. AO auch nach dem Erlöschen der Vertretungsmacht in den Fällen der Verletzung von Pflichten, die vor dem Erlöschen der Vertretungsmacht zu erfüllen waren.
Rz. 2
§ 36 AO nennt neben der Vertretungsmacht auch die Verfügungsmacht. Sie erfasst damit auch die in § 34 Abs. 3 AO (Vermögensverwalter) und § 35 AO (im eigenen Namen handelnde Verfügungsberechtigte) angesprochenen Personen.
Die einmal entstandenen steuerlichen Pflichten bleiben beim Erlöschen der Vertretungs- und Verfügungsmacht nur insoweit bestehen, als sie der Verpflichtete – noch – erfüllen kann.
Rz. 3
Da es sich bei den auch nach Erlöschen der Vertretungsmacht fortbestehenden steuerlichen Pflichten um öffentlich-rechtliche Pflichten handelt, kann auch deren Fortbestehen nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen abbedungen werden.
2 Erlöschen der Vertretungs- oder Verfügungsmacht
Rz. 4
Die Vorschrift bezieht sich auf die Fälle der §§ 34, 35 AO. Die in diesen Vorschriften aufgeführten Personen haben aufgrund sehr verschiedener Rechtstellungen zu den jeweiligen eigentlichen Stpfl. deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Ebenso verschieden müssen daher auch die Formen des Erlöschens dieser Rechtstellungen sein.
Rz. 5
Die gesetzliche Umschreibung mit "Vertretungsmacht" oder "Verfügungsmacht" erfasst nicht alle Fälle der §§ 34, 35 AO und muss deshalb ausdehnend ausgelegt werden. Die Verfügungsmacht kann nicht nur durch Entzug seitens desjenigen geschehen, der sie eingeräumt hat. Auch etwa ein gerichtlich angeordnetes Verfügungsverbot kann der Grund sein.
Rz. 6
Eine weitere Notwendigkeit der erweiterten Auslegung ergibt sich für die Fälle, in denen das Gesetz nicht nur an die Berechtigung oder Verpflichtung, sondern zugleich auch an weitere Tatbestandsmerkmale anknüpft. Ist eine Vertretungsmacht rechtsgeschäftlich eingeräumt, wird von ihr aber im Wirtschafts- und Rechtsverkehr kein Gebrauch mehr gemacht, erlischt auch die Pflichtenstellung aus § 35 AO.
2.1 Gesetzliche Vertreter, Geschäftsführer, Beteiligte
Rz. 7
Die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern für ihre Kinder endet durch Volljährigkeit, Entziehung der elterlichen Gewalt oder Tod des Kindes, diejenige des Betreuers für Volljährige mit dessen Entlassung oder mit der Aufhebung der Betreuung. Der Betreuer ist in seinem Aufgabenkreis, der viel variabler als der des früheren Vormunds für diese Fälle ausgestaltet ist, gesetzlicher Vertreter des Betreuten. Ein Teil der gesetzlichen Vertretungsmacht für einen Minderjährigen erlischt mit der Ermächtigung an diesen, ein Erwerbsgeschäft zu führen oder ein Dienst- und Arbeitsverhältnis einzugehen. Die Vertretungsmacht des Pflegers endet mit der Aufhebung der Pflegschaft. Mit einer Einschränkung oder Erweiterung der Betreuung wird auch die Vertretungsmacht des Betreuers eingeschränkt oder erweitert.
Die gesetzliche Vertretungsmacht für juristische Personen ist mit dem Ausscheiden der Person aus der Tätigkeit als Vorstand oder Geschäftsführer bzw. bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit dem Ausscheiden der Person aus der entsprechenden Position erloschen. Entsprechendes gilt bei rechtsfähigen Personenvereinigungen. Für Geschäftsführer von Vermögensmassen gilt Entsprechendes.
Sind Mitglieder, Gesellschafter oder Gemeinschafter nach § 34 Abs. 2 AO verpflichtet, die Pflichten nach § 34 Abs. 1 AO zu erfüllen, so können neue Pflichten nach ihrem Ausscheiden aus der nichtrechtsfähigen Personenvereinigung nicht mehr entstehen. Das Gleiche gilt im Fall der nichtrechtsfähigen Vermögensmassen für eine beendete Vermögensberechtigung i. S. d. § 34 Abs. 2 S...