Rz. 16
Die unmittelbare Antragstellung beim Gericht (s. Rz. 9) ist nach § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 FGO zulässig, wenn die Vollstreckung wegen des strittigen Anspruchs droht. Dies gilt jedoch nicht, wenn bereits bei der Finanzbehörde ein AdV-Antrag gestellt ist. In diesem Fall muss zunächst die finanzbehördliche Entscheidung abgewartet werden, es sei denn, dass die Finanzbehörde untätig bleibt oder tatsächlich sich Vollstreckungsmaßnahmen konkretisieren (s. Rz. 15).
Die drohende Vollstreckung ist eine Zugangsvoraussetzung für die unmittelbare Antragstellung bei Gericht.
Eine Vollstreckung droht noch nicht, wenn lediglich aufgrund des behördlichen Rhythmus von Mahn- und Rückstandsanzeigen mit Vollstreckungsmaßnahmen zu rechnen ist.
Rz. 17
Die Vollstreckung droht vielmehr, wenn die Behörde das Vollstreckungsverfahren bereits begonnen hat bzw. sie aus der Sicht eines objektiven Beobachters unmittelbar bevorsteht.
Dies kann i. S. v. § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 FGO nur sein, wenn die Voraussetzungen für den Beginn der Vollstreckung erfüllt sind. Es muss die Vollstreckbarkeit des Anspruchs gegeben sein. Es muss bereits die Fälligkeit nach § 220 AO eines gegen den Beteiligten bestehenden Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis gegeben sein, d. h. dem Beteiligten ein Leistungsgebot gem. § 254 AO bekannt gegeben und ein Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO nicht gewährt worden sein. Erforderlich ist ferner, dass die Finanzbehörde eine Mahnung gem. § 259 AO hinsichtlich des streitigen Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen hat und konkrete Vorbereitungshandlungen für die Vollstreckungsdurchführung getroffen hat, insofern also z. B.die Finanzverwaltung die Pfändung von Sachen, des Arbeitseinkommens, von Bankkonten oder anderen Forderungen konkret ankündigt.
Rz. 17a
Der BFH lässt insofern auch eine Vollstreckungsankündigung ausreichen, in der der Antragsteller darauf hingewiesen wird, dass die Vollstreckung eingeleitet wird, wenn er den Steuerrückstand nicht freiwillig (bis zum Ablauf einer hierfür gesetzten Frist) entrichtet. Nicht genügt jedoch eine Vollstreckungsankündigung bzw. Mahnung oder Vollstreckungsankündigung, wenn noch genügend Zeit verbleibt, einen AdV-Antrag zu stellen. Ist hingegen die Wochenfrist nach § 259 S. 1 AO verstrichen, muss i. d. R. nach der Sicht eines objektiven Betrachters mit der Vollstreckung gerechnet werde, sodass diese droht. Eine Mahnung stets als Routinemaßnahme zu betrachten, aus der sich kein Hinweis herleiten ließe, dass die Vollstreckung droht, ist jedoch eine zu undifferenzierte Betrachtung. Wenn sich die AdV auf Vollstreckungsmaßnahmen wie Pfändungs- und Einziehungsverfügung bezieht, so ist allerdings immer von der drohenden Vollstreckung auszugehen.
Rz. 17b
Da nach AEAO zu § 361 Nr. 3.1 die Finanzbehörde über den AdV-Antrag unverzüglich zu entscheiden hat und bis zu dieser Entscheidung grundsätzlich Vollstreckungsmaßnahmen unterbleiben sollen, sofern der Antrag nicht aussichtlos ist, offensichtlich nur ein Hinausschieben der Vollstreckung bezweckt oder Gefahr im Verzug gegeben ist, werden sich in der Praxis selten Fälle ergeben, in denen insofern für den Stpfl. das Problem entsteht, dass die Finanzbehörde vollendete Tatsachen schafft. Daraus wird abgeleitet, dass bei gestellten AdV-Antrag bei der Finanzbehörde in der Regel keine Vollstreckung droht, es sei denn, es sind konkrete Anhaltspunkte gegeben, dass die Finanzbehörde den Antrag für aussichtslos erachtet.
Rz. 17c
Die Vollstreckung droht i. d. S. nicht mehr, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet ist, denn dann greift das Vollstreckungsverbot nach § 89 InsO. Vor der Eröffnung ist die AdV demgegenüber zulässig. Denn selbst mit der Stellung des Insolvenzantrags durch die Finanzbehörde droht die Vollstreckung i. S. v. § 69 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 FGO, also die Gesamtvollstreckung.
Rz. 17d
Bei der AdV eines Grundlagenbescheids (s. Rz. 36) reicht der Erlass des Folgebescheids nicht, sondern es muss die Vollstreckung aus dem Folgebescheid drohen.
Rz. 17e
Allein, dass die Finanzbehörde eine Aufrechnung vorgenommen hat, führt noch nicht dazu, dass die Vollstreckung droht, da diese Maßnahme nicht im Zuge hoheitlicher Zwangsgewalt erfolgt, sondern hier außerhalb der Vollstreckung ein rechtsgeschäftliches Gestaltungsrecht ausgeübt wird.