1 Rechtliches Gehör
Rz. 1
Die Finanzbehörde hat dem Einspruchsführer und den übrigen Beteiligten im Einspruchsverfahren rechtliches Gehör zu gewähren. Gemäß § 365 Abs. 1 AO i. V. m. § 91 Abs. 1 AO soll sie den Beteiligten Gelegenheit geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieses allgemeine Anhörungsgebot erweitert § 364a AO nur für das Einspruchsverfahren zu einem Erörterungsgebot. Vor der Entscheidung über den Einspruch soll die Finanzbehörde den Sach- und Rechtsstand mit den Beteiligten erörtern. Ein Verstoß gegen § 91 Abs. 1 AO bei Erlass des Verwaltungsakts wird durch eine mündliche Erörterung im Einspruchsverfahren geheilt.
Ziel dieser Erörterung ist es, durch die Klarstellung der Entscheidungsgrundlagen möglichst die Durchführung des Einspruchs- und ggf. eines späteren Klageverfahrens zu vermeiden, zumindest aber eine einvernehmliche Feststellung des Sachverhalts und ggf. eine "tatsächliche Verständigung" zu versuchen, um eine sichere Entscheidungsgrundlage für das weitere Einspruchs- und ggf. Klageverfahren zu schaffen.
2 Erörterungsgebot für die Finanzbehörde
Rz. 2
Die Finanzbehörde kann den Einspruchsführer und weitere Beteiligte nach § 364a Abs. 1 S. 3 AO von Amts wegen zur Erörterung laden. Auf den formfreien Antrag des Einspruchsführers soll die Finanzbehörde die Sache erörtern.
Die Vorschrift hat keinen zwingenden Charakter, sondern die Erörterung liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Bei einem Erörterungsantrag ist nach der gesetzlichen Formulierung das Ermessen eingeschränkt. Die Behörde darf nur in Ausnahmefällen von der Erörterung absehen.
Rz. 3
Die Behörde soll die Sache primär mit dem Einspruchsführer erörtern. Nur dieser ist nach § 364a Abs. 1 S. 1 AO berechtigt, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Andere Beteiligte sind nicht antragsbefugt, können jedoch die Erörterung anregen. Die Behörde kann nach § 364a Abs. 1 S. 2 AO, auch gegen den Antrag des Einspruchsführers, andere Beteiligte zur Erörterung laden, wenn sie dies für sachdienlich hält, es also für den Zweck der Erörterung förderlich sein könnte. Der Einspruchsführer kann der Ladung anderer Beteiligter nicht widersprechen, er kann jedoch einem anberaumten Termin fernbleiben.
Am Einspruchsverfahren nichtbeteiligte Dritte haben kein Recht auf eine Erörterung in einer fremden Steuersache, selbst wenn sie an deren Ausgang ein wirtschaftliches Interesse haben sollten; bei einem steuerlichen Interesse können sie ihre Hinzuziehung nach § 360 AO anregen.
Rz. 4
Nach § 364a Abs. 3 S. 1 AO können sich die Beteiligten bei der Erörterung durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Werden die Beteiligten im Einspruchsverfahren durch Bevollmächtigte vertreten, so erfüllt die Finanzbehörde das Erörterungsgebot, wenn sie sich an diese wendet. Nach § 365 Abs. 1 AO i. V. m. § 80 Abs. 3 S. 1 AO hat die Erörterung mit dem Bevollmächtigten Priorität. Der Bevollmächtigte erlangt aufgrund dieser gesetzlichen Vorgabe aber kein eigenes Recht auf Erörterung
Rz. 5
Die Behörde kann die Beteiligten nach § 364a Abs. 3 S. 2 AOpersönlich zur Erörterung laden, wenn sie dies für sachdienlich hält. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass sich die Behörde zunächst an den Bevollmächtigten wenden soll.
Die Behörde muss ein besonderes, berechtigtes Interesse an der unmittelbaren Inanspruchnahme des Beteiligten haben. Dieses kann auch in der Sicherung eines rationellen Ablaufs des Einspruchsverfahrens liegen. Die unmittelbare Inanspruchnahme muss dem Beteiligten zumutbar sein. Er muss es demgemäß akzeptieren, dass sich die Behörde unmittelbar an ihn wendet, wenn der Bevollmächtigte in Einzelfällen nicht erreichbar ist oder nachhaltig den Verfahrensablauf beeinträchtigt, z. B. indem er Anfragen der Finanzbehörde unbeachtet lässt. Vorrangig ist die persönliche Ladung dann sachgerecht, wenn Sachverhalte zu erörtern sind, die sich im persönlichen Wissensbereich des Beteiligten befinden und deren Darstellung durch die Übermittlung von anderen Personen beeinträchtigt werden könnte.
Rz. 6
Das Erörterungsgebot besteht für die Finanzbehörde vor Erlass der Einspruchsentscheidung. Die Behörde muss ausreichend Gelegenheit gehabt haben, sich in den Fall einzuarbeiten. Das Meinungsbild hinsichtlich der Sach- und Rechtslage des Falls muss sich also insoweit gefestigt haben, als die Finanzbehörde aufgrund des bisher bekannten Sachverhalts und der vorgetragenen Einwendungen dem Rechtsschutzbegehren inhaltlich nicht abhelfen will oder darf, da nur dann im anhängigen und zulässigen Verfahren der Erlass der Einspruchsentscheidung erforderlich ist. Will die Finanzbehörde dem Einspruch abhelfen, so kann sie von einer Erörterung absehen.