Rz. 27
Der subjektive Tatbestand aller Straftatbestände – wie auch der der Steuerhinterziehung – erfordert gem. § 15 StGB eine vorsätzliche Handlung des Täters. Etwas anderes gilt nur, wenn das Gesetz ausdrücklich die Strafbarkeit fahrlässigen Handelns anordnet. Dies ist jedoch im Bereich des Steuerstrafrechts nicht der Fall. Lediglich Steuerordnungswidrigkeiten sind fahrlässig möglich, wie z. B. bei § 378 AO, der Leichtfertigkeit und damit eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit erfordert (vgl. Rz. 39). Bezugspunkt und Gegenstand des Vorsatzes sind die sich aus dem jeweiligen Tatbestand ergebenden objektiven Tatbestandsmerkmale. Folglich entfällt – entsprechend der Regelung des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB – der Vorsatz schon dann, wenn der Tatbeteiligte bloß einen einzigen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände nicht kennt.
Rz. 28
Es ist somit zunächst zu klären, was eigentlich unter Vorsatz verstanden wird und wie er von der Fahrlässigkeit und der von § 378 AO erfassten Leichtfertigkeit abzugrenzen ist. Der Vorsatz wird häufig mit der (ungenauen Kurz-)Formel beschrieben: "Vorsatz ist Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung".
Exakter ist jedoch die (Kurz-)Formel, dass es sich bei Vorsatz um "das Wissen und das Wollen der Tatbestandsverwirklichung im Zeitpunkt der Tathandlung" handele. Der Vorsatz umfasst daher das Bewusstsein, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale vorliegen oder eintreten werden und das Wollen der Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale. Darüber hinaus muss das für den Vorsatz erforderliche Wissen im Zeitpunkt der Tathandlung aktuell vorhanden sein. Der Täter muss zwar nicht permanent daran denken und seine volle Aufmerksamkeit hinsichtlich der Tathandlung ist auch nicht erforderlich, aber es bedarf eines „Mitbewusstseins“ im Vorstellungsbild des Tatbeteiligten.
Der Vorsatz enthält somit ein Wissens- (= kognitives) und ein Wollens- (= voluntatives) Element, die beide vorliegen müssen.
Rz. 29
Eine Strafbarkeit setzt voraus, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält (kognitives Element) und dies billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element). Diese Elemente sind für die Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Vorsatzformen und der bewussten Fahrlässigkeit wichtig, denn Wissen und Wollen sind abstufbare und der Interpretation zugängliche Begriffe. Als "Wissen" können alle Stufen von Gewissheit über die Wahrscheinlichkeit bis zur Grenze der Ungewissheit bezeichnet werden. Beim "Wollen" sind Abstufungen vom Wünschen über das In-Kauf-Nehmen bis zum Nichtwollen möglich. Diesen Unterschieden wird dadurch Rechnung getragen, dass zwischen drei verschiedenen Vorsatzstufen differenziert wird, die ihrerseits von der Fahrlässigkeit abzugrenzen sind.
Rz. 30
Bei der Steuerhinterziehung gehört es zum für die Verwirklichung des Tatbestands erforderlichen Vorsatz, dass der Tatbeteiligte den angegriffenen Steueranspruch kennt und ihn trotz dieser Kenntnis verkürzen will bzw. seine Verkürzung billigend in Kauf nimmt. Der Tatbeteiligte braucht allerdings nicht die Steuerart, die Anspruchsgrundlagen, die Einkunftsart oder den geschuldeten Steuerbetrag zu kennen. Er muss es lediglich für möglich halten, dass der Sachverhalt steuerliche Folgen auslöst und einen Steueranspruch begründet. Hierbei reicht es, dass der Täter anhand einer u. U. laienhaften Bewertung erkennt, dass ein Steueranspruch existiert, auf den er möglicherweise einwirkt. In diesem Zusammenhang ist auf die konkreten Fähigkeiten des Betroffenen zur möglichen steuerrechtlichen Wertung von Tatbeständen abzustellen. Es genügt daher für die Annahme einer Steuerhinterziehung, wenn sich der Tatbeteiligte aufgrund dieser sog. "Parallelwertung in der Laiensphäre" des sozialen Sinngehalts seines Verhaltens bewusst ist.
Bei der Parallelwertung in der Laiensphäre ist die Rechtsprechung allerdings recht weitgehend, sodass z. B. die Steuerpflicht von Zinseinkünften und die Berichtigungspflicht nach § 153 AO unwiderleglich als bekannt vorausgesetzt werden.
Rz. 31
Sofern die Höhe der tatsächlichen Steuerverkürzung über die Vorstellung des Täters hinausgeht, so ist im Hinblick auf das Vorliegen eines Vorsatzes darauf abzustellen, ob der Täter zumindest die Höhe der tatsächlichen Verkürzung für möglich hält. Ist dies der Fall, so führt die falsche Vorstellung des Täters nicht zu einer Verneinung des Vorsatzes, sondern ihr kommt lediglich bei der Strafzumessung Bedeutung zu.
Rz. 32
Auch der Kausalverlauf muss vom Vorsatz umfasst sein. Da aber nie alle Einzelheiten eines Geschehensablaufs exakt vorhersehbar sind, reicht es insoweit aus, wenn die Vorstellungen des Täters dem tatsächlichen Geschehensablauf im Wesentlichen entsprechen. Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalablauf sind dementsprechend für die rechtliche Bewertung bedeutungslos, wenn sie sich im Rahmen des nach der allgemeinen Lebenserfahrung Vorhersehbaren halten und keine abweichende Be...