Dr. Karsten Webel, Dr. Wolfgang Dumke †
Rz. 84
Zur Steuerverkürzung s. Rz. 79, 103. Eine Steuer ist gem. § 370 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 AO "namentlich" verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt wird. Aus der Formulierung "namentlich" ergibt sich, dass nach Ansicht des Gesetzgebers auch weitere Fälle der Steuerverkürzung denkbar sind.
Rz. 85
Die Festsetzung der Steuer i. S. v. § 370 AO erfolgt in dem durch die Person des Stpfl. (s. § 33 AO Rz. 38) konkretisierten Steuerpflichtverhältnis (s. § 33 AO Rz. 4) durch einen Steuerbescheid (s. Rz. 94). Die Steuerfestsetzung ist zu beziehen auf die jeweilige Steuerart und bei den für einen bestimmten Zeitraum zu veranlagenden Steuern, also z. B. den Ertragsteuern wie der ESt, KSt, GewSt zu beziehen auf den betreffenden Zeitraum. Steuerliche Auswirkungen in anderen Besteuerungsabschnitten oder bei anderen Steuerarten haben auf die jeweilige Steuerverkürzung keinen Einfluss. Sie sind allerdings bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (s. Rz. 223). Dies gilt auch für steuerliche Auswirkungen in einem anderen Steuerpflichtverhältnis, z. B. wenn die vom Stpfl. nicht erklärten Einkünfte (s. Rz. 42) fehlerhaft von einem anderen Stpfl. erklärt werden, selbst wenn sich bei der ESt die Progression nicht oder sogar in einer höheren Belastung auswirkt.
Rz. 85a
Eine Steuerverkürzung ergibt sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ausschließlich aus der Steuerfestsetzung (s. Rz. 79, 84). Unerheblich für die Steuerverkürzung ist die tatsächliche "Einnahme" der Steuer, denn die Verwirklichung des Steueranspruchs, d. h. dessen Entrichtung, die Zahlungsfähigkeit oder das Unvermögen des Tatbeteiligten zur Zahlung, hat für den Tatbestand der Steuerhinterziehung keine Bedeutung.
Rz. 85b
Eine Steuerverkürzung ergibt sich – noch – nicht aus der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 179 Abs. 1 AO. Feststellungsbescheide setzen keine Steuer fest, sondern sind Grundlagenbescheide mit hinsichtlich der festgestellten Besteuerungsgrundlagen bindender Wirkung für den folgenden Steuerbescheid (Folgebescheid), in den sie einfließen. Durch die Nichtabgabe (s. Rz. 57) oder unrichtige bzw. unvollständige Abgabe (s. Rz. 44, 45) einer Feststellungserklärung tritt also keine Steuerverkürzung, wohl aber ein ungerechtfertigter Steuervorteil (s. Rz. 107, 273) ein, denn das für den Erlass des Folgebescheids zuständige FA ist zwingend an die Feststellung gebunden und muss sie in dem Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO umsetzen. Der Täter erreicht also schon durch die Tathandlung hinsichtlich des Feststellungsbescheids eine gesicherte Rechtsposition und damit einen Taterfolg in Form des ungerechtfertigten Steuervorteils.
Rz. 86
Die Steuerverkürzung ist die Differenz der – unter Beachtung des Kompensationsverbots (s. Rz. 110) – gesetzlich geschuldeten und der aufgrund der Tathandlung tatsächlich festgesetzten Steuer. Die Verkürzung ist die tatsächliche Minderung oder Verzögerung der steuerlichen Leistungspflicht gegenüber der bei Unterbleiben der Tathandlung bestehenden materiellen steuerrechtlichen Rechtslage (s. Rz. 10). Die Steuer ist verkürzt, wenn durch die Tathandlung die "Ist-Steuerfestsetzung" vollständig, zeitlich oder der Höhe nach gegenüber der nach dem materiellen Steuerrecht richtigen "Soll-Steuerfestsetzung" zurückbleibt. Eine materiell richtige oder zu hohe Steuerfestsetzung bewirkt keine Steuerverkürzung i. S. v. § 370 AO.