Rz. 116
Darüber hinaus ist zu klären, wie mit Selbstanzeigen zu verfahren ist, die nur geringfügig von den zutreffenden Besteuerungsgrundlagen abweichen. Vor der Änderung des § 371 Abs. 1 AO im Jahr 2011 wurden von der Rechtsprechung Fehlberechnungen von bis zu ca. sechs Prozent akzeptiert, teilweise wurden in der Lit. sogar bis zu zehn Prozent als tolerabel angesehen. Nach der Änderung der Rechtslage durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz stellt der Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO auf die Vollständigkeit der Selbstanzeige ab, sodass dieser Ansicht die (gesetzliche) Grundlage entzogen ist. Allerdings wurde schon im Gesetzgebungsverfahren thematisiert, dass Bagatellabweichungen weiterhin nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige führen sollen. Dieser Ansicht schloss sich auch der BGH an. Trotz des Wortlauts des neuen § 371 Abs. 1 AO soll nach der Rechtsprechung des BGH eine geringfügige und nicht bewusst herbeigeführte Abweichung nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige führen. Nach der Ansicht des BGH ist eine solche Geringfügigkeit gegeben, wenn die Abweichung maximal fünf Prozent vom Verkürzungsbetrag i. S. d. § 370 Abs. 4 AO beträgt. Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass diese prozentuale Betrachtungsweise in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Vollständigkeits- bzw. Wahrheitsgebot steht. Teilweise falsch wird nicht richtig und § 371 AO sieht eben keine Billigkeitsregelung vor. Trotzdem ist dem BGH unter Gesichtspunkten der Praktikabilität zuzustimmen. Allerdings ist im Hinblick darauf, ob die Abweichung bewusst herbeigeführt wurde, insbesondere dann ein strenger Maßstab anzulegen, wenn durch die unzutreffende Angabe die Wertgrenze des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO (Rz. 286ff.) unterschritten werden könnte.
Rz. 116a
Im Fall einer dolos unvollständigen Selbstanzeige ist diese selbst bei Unterschreiten der Fünf-Prozent-Grenze nach der zutreffenden Ansicht des BGH in jedem Fall unwirksam. Dem Fiskus werden zwar zumindest die erklärten Steuerquellen erschlossen, aber dieses Verhalten ist nicht vom Willen zur Rückkehr zur Steuerehrlichkeit getragen. Vielmehr geht es dem Täter gerade um eine – zumindest teilweise – Aufrechterhaltung und Verdeckung seiner Steuerunehrlichkeit. In diesem Fall wird die Selbstanzeige als Teil einer Hinterziehungsstrategie eingesetzt, so dass diese nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO unvollständige und damit unwirksame Selbstanzeige nicht aufgrund der nur geringen Abweichung einer wertenden Betrachtung als wirksam angesehen werden kann. Selbst eine Strafmilderung im Hinblick auf die fehlgeschlagene Selbstanzeige dürfte aufgrund dieser rechtsfeindlichen Gesinnung des Täters nicht angezeigt sein.
Rz. 117
Es ist allerdings noch nicht geklärt, ob für die Bestimmung der Höhe dieser Abweichung auf das einzelne Kj. abzustellen ist, oder ob nicht unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität eine zusammenfassende Berechnung unter Berücksichtigung des gesamten Nacherklärungszeitraums einer Steuerart angezeigt ist. Letzteres hätte zur Folge, dass eine Verrechnung von zu hohen Angaben für einige Zeiträume mit zu geringen Angaben für andere Zeiträume erfolgen könnte. Die Selbstanzeige wäre somit nur dann unwirksam, wenn die insgesamt nach § 371 AO nacherklärte Steuer um mehr als fünf Prozent unter dem saldierten tatsächlichen Verkürzungsbetrag liegt.
Da § 371 AO allerdings von einer tatbezogenen Betrachtung ausgeht und die Selbstanzeige an den durch Steuerart und Veranlagungszeitraum bestimmten materiellen Tatbegriff anknüpft, dürfte eine kalenderjahrübergreifende Betrachtung unzutreffend sein. Vielmehr ist jede Selbstanzeige als Strafaufhebungsgrund für eine einzelne Tat zu sehen. Werden somit im Wege des § 371 AO mehrere Jahre korrigiert, so handelt es sich auch um mehrere (zusammengefasste) Selbstanzeigen, die zwar sprachlich zusammengefasst werden, die aber trotzdem jede für sich wirksam sein müssen. Nur wenn die gesonderte Prüfung für jede einzelne Tat zur Vollständigkeit und Wirksamkeit der Selbstanzeige kommt, tritt für alle diese Taten Straffreiheit ein. Sind die Abweichungen i. d. S. für eine einzelne oder mehrere Taten des Berichtigungsverbundes jedoch mehr als geringfügig, so liegt eine insgesamt unwirksame Teilselbstanzeige vor, die allerdings i. d. R. strafmildernd zu berücksichtigen ist.
Für dieses Ergebnis spricht auch, dass der Täter den an ihn zu stellenden Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht wird, wenn es im Hinblick auf einzelne im Berichtigungsverbund enthaltene Taten zu einer Abweichung von mehr als fünf Prozent kommt.
Der T hat im Jahr 2014 Einkommensteuer i. H. v. 10.000 EUR hinterzogen, im Jahr 2015 i. H. v. 15.000 EUR und im Jahr 2016 i. H. v. 5.000 EUR. Als er nun seine Selbstanzeige verfasst, geht er irrig davon aus, im Jahr 2015 lediglich 13.500 EUR hinterzogen zu haben. Folglich erklärt er in seiner ansonsten korrekten Selbstanzeige für 2015 auch nur diesen Betrag. Es ist somit fraglich, ob die Selbstanzeige(n) des T...