Rz. 193
Der persönliche Umfang der Ausschlusswirkung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO ergibt sich aus der Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung. Die Selbstanzeige ist nur für den Tatbeteiligten ausgeschlossen, dem oder dessen Vertreter die Einleitung als verdächtigem Tatbeteiligten bekannt gegeben worden ist. Die Ausschlusswirkung erstreckt sich nicht auf andere Beschuldigte bzw. Tatbeteiligte.
Rz. 194
Der Gesetzgeber beabsichtigte hingegen durch das Ersetzen des Begriffs des "Täters" durch den Begriff des "an der Tat Beteiligten" nicht nur die Sperrwirkung auch auf Anstifter und Gehilfen zu erstrecken, sondern er wollte ebenso sicherstellen, dass ein Anstifter oder Gehilfe der Steuerhinterziehung keine Selbstanzeige mehr abgeben kann, wenn die Verfahrenseinleitung dem Täter bekannt gegeben wurde. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber jedoch verfehlt, da die Formulierung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO nach wie vor täterbezogen ist und somit auf den Tatbeteiligten abstellt, "dem" die Verfahrenseinleitung mitgeteilt wurde. Hätte der Gesetzgeber sein Ziel erreichen wollen, hätte er die Formulierung dahingehend ändern müssen, dass die Sperrwirkung eintritt, wenn "einem" Tatbeteiligten oder seinem Vertreter die Verfahrenseinleitung bekannt gegeben wurde. Da er dies jedoch nicht getan hat, gebietet es der Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO zwingend, dass die Sperrwirkung nur bei dem Tatbeteiligten eintritt, dem – ggf. über seinen Vertreter – die Verfahrenseinleitung mitgeteilt wurde.
Unabhängig davon ist jedoch die Frage, ob z. B. die Tat des Gehilfen nicht bereits i. S. d. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO entdeckt wurde, auch wenn nicht ihm, sondern dem Täter die Verfahrenseinleitung bekannt gegeben wurde.
Der Ehefrau F wird als Vertreterin ihres Ehemanns M die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen den M mitgeteilt. In der Folge gesteht die F zutreffend, dass ihr Mann mit der Tat nichts zu tun habe, sondern sie die Steuerhinterziehung begangen habe.
Da der F in diesem Fall nicht selbst die Verfahrenseinleitung als Täterin oder verdächtiger Tatbeteiligten bekannt gegeben wurde, sondern "nur" als Vertreterin des M , wirkt die Einleitung nicht gegen sie. Ihre Selbstanzeige ist folglich nicht gem. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO gesperrt.
Rz. 195
Da sich aus der Bekanntgabe ergeben muss, was dem Tatbeteiligten konkret zur Last gelegt wird, ist ein einfaches Formblatt, das nur den Straftatbestand benennt, ohne die bisher bekannte Tathandlung identifizierbar zu beschreiben, ebenso wenig ausreichend wie eine Einleitung "gegen Verantwortliche der Firma ZZ", sofern sich aus der weiteren Begründung keine individualisierenden Gesichtspunkte ergeben.
Rz. 196
Aus der Bekanntgabe – z. B. in Form einer Einleitungsverfügung oder eines Durchsuchungsbeschlusses – ergibt sich in Form der darin nach Steuerart und Stpfl. beschriebenen Tat(en) auch der sachliche Umfang der Ausschlusswirkung. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass – anders als nach der bis zum Jahr 2011 geltenden alten Fassung des § 371 Abs. 2 AO – bezüglich des zeitlichen Umfangs die Sperrwirkung nicht mehr beschränkt ist, sondern die Selbstanzeige für alle strafrechtlich noch nicht verjährten Taten der jeweiligen Steuerart gesperrt ist. Es kann folglich bezüglich des zeitlichen Umfangs der Sperrwirkung nicht mehr auf die in der Einleitungsverfügung angeführten Jahre abgestellt werden. Gesperrt sind alle strafrechtlich nicht verjährten Zeiträume, die von Hinterziehungen der in der Einleitungsverfügung genannten Steuerart betroffen sind, wenn die Verfahrenseinleitung hinreichend konkretisiert ist und sie zumindest ein Jahr des strafrechtlich unverjährten Zeitraums erfasst.
Bezieht sich das Einleitungsschreiben auf Einkünfte aus Kapitalvermögen der Jahre 2010 bis 2011, wurden aber tatsächlich Einkünfte aus Kapitalvermögen in den Jahren 2008 bis 2012 nicht erklärt, so sind mithin nicht nur die Jahre 2010 und 2011, sondern auch die Zeiträume davor und danach gesperrt. Darüber hinaus bezieht sich die Sperrwirkung auf sämtliche Einkünfte i. S. d. § 2 EStG. Möglich bleibt eine Selbstanzeige hingegen im Hinblick auf andere Steuerarten wie z. B. Schenkung- oder USt. Insoweit kann der Beschuldigte noch eine "passende" Selbstanzeige abgeben und damit einer Entdeckung im Rahmen des Strafverfahrens zuvorkommen.
Wird gegen T wegen massiver verdeckter Gewinnausschüttungen ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, weil der Verdacht besteht, dass er als Geschäftsführer der G-GmbH Körperschaft-, Umsatz- und GewSt hinterzogen haben soll, so ist problematisch, wie weit die Sperrwirkung reicht.
Überträgt man den Gesichtspunkt des sachlichen Zusammenhangs auch auf diesen Ausschlussgrund, so könnte eine Sperrwirkung auch für andere als die in der Einleitungsverfügung genannten Steuerarten eingreifen. Dies dürfte jedoch im Ergebnis zu verneinen sein, sodass in diesem Beispiel eine Selbstanzeige bezüglich der ESt möglich bleib...