Rz. 27
Die Verfolgungspflicht der Strafverfolgungsorgane setzt nach § 152 Abs. 2 StPO voraus, dass für das Vorliegen der verfolgbaren Straftat (Rz. 32) zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Dieser im strafrechtlichen Sprachgebrauch als Anfangsverdacht bezeichnete Verdacht muss also auf konkreten Tatsachen beruhen, die es i. V. m. der Lebenserfahrung und den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass der objektive Tatbestand der Straftat (Rz. 32) erfüllt ist (Rz. 28). Aus den tatsächlichen Anhaltspunkten muss sich mit einer gewissen, wenn auch noch zweifelhaften Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer Steuerstraftat ergeben (Rz. 28).
Die Wirksamkeit der Einleitungsmaßnahme (Rz. 34) ist allerdings nicht davon abhängig, dass der Anfangsverdacht vorliegt. Der Beginn einer Strafverfolgung ohne Anfangsverdacht ist strafrechtlich ggf. als Verfolgung Unschuldiger nach § 344 StGB oder als Rechtsbeugung nach § 336 StGB zu ahnden. Außerdem begründet dies einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung.
Durch welche Umstände die Strafverfolgungsorgane Kenntnis von den verdachtsbegründenden Tatsachen erlangen, ist ohne Bedeutung. Anlass für die Verdachtschöpfung können Anzeigen, Selbstanzeigen, dienstliche oder private Wahrnehmungen des Amtsträgers sein. Letztere bewirken allerdings nur in eingeschränktem Maß eine Verfolgungspflicht.
Rz. 28
Die bekannt gewordenen Tatsachen müssen es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Die Strafverfolgungsorgane haben hier einen Beurteilungsspielraum. Es genügt insofern eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Tatbestandserfüllung, die durchaus noch gering sein kann. Auch entfernte Indizien sind ausreichend, nicht jedoch vage Anhaltspunkte.
Der Verdacht braucht nicht hinreichend i. S. v. § 203 StPO zu sein, d. h., eine spätere Verurteilung braucht aufgrund der bekannten Tatsachen nicht wahrscheinlich zu sein.
Rz. 29
Der für die Einleitung des Strafverfahrens erforderliche Anfangsverdacht ist abzugrenzen von der Vermutung strafrechtlich relevanten Verhaltens. Eine bloße sich aus den Sachverhaltsumständen ergebende Vermutung rechtfertigt die in der Einleitung des Strafverfahrens i. d. R. liegende psychische Belastung des Betroffenen (Rz. 14) nicht. Solche Vermutungen können allenfalls Anlass für Vorfeldermittlungen sein.
Rz. 30
Der Verdacht muss sich gegen den Beschuldigten als Tatbeteiligten der Straftat richten. Allerdings braucht der Beschuldigte noch nicht identifiziert zu sein; auch in Steuerstrafsachen sind, wie in allgemeinen Strafsachen auch, "Ermittlungen gegen Unbekannt" möglich. Die Einleitung kann auch gegen unbekannte Tatbeteiligte erfolgen. Wird das Steuerstrafverfahren gegen einen noch nicht identifizierten Beschuldigten eingeleitet, so tritt die Unterbrechungswirkung der Einleitung für die Strafverfolgung noch nicht ein.
Rz. 30a
Der Einleitung steht auch nicht entgegen, dass noch keine Erkenntnisse hinsichtlich des Vorsatzes vorliegen. Ob die Verwirklichung des Straftatbestands schuldhaft erfolgt ist, ist im Ermittlungsverfahren aufzuklären.
Rz. 31
Der einfache Tatverdacht ist aber dann nicht ausreichend, wenn die Einleitungsmaßnahme in einer Verhaftung besteht. Nach § 112 Abs. 1 S. 1 StPO muss der Beschuldigte dringend verdächtig sein, die Straftat begangen zu haben. Erforderlich ist hier ein sehr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer der Straftat ist.