Rz. 3
Der Begriff der "Allgemeinheit" i. S. dieser Norm ist aus zwei Perspektiven zu betrachten:
Personenkreisbezogen ist zunächst abzugrenzen innerhalb der beiden extremen Fälle, nämlich der Gesamtheit der Bevölkerung einerseits und einem abgeschlossenen, kleinen Personenkreis andererseits. Der steuerrechtliche Begriff der Allgemeinheit liegt zwischen diesen beiden Extremen; weder braucht die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik gefördert zu werden noch darf es sich um die Förderung eines abgeschlossenen kleinen Personenkreises handeln (vgl. Rz. 10). Eine Förderung der Allgemeinheit liegt danach zwar nicht vor, wenn nur ein fest umgrenzter, abgeschlossener Kreis von Personen gefördert werden soll, die Förderung der Allgemeinheit wird aber andererseits nicht dadurch ausgeschlossen, dass nur einige Personen gefördert werden, wenn diese Personen nach objektiven Kriterien (z. B. besondere Bedürftigkeit) aus einem großen, nicht abgeschlossenen Kreis von Personen ausgewählt werden, also praktisch jeder bei Vorliegen der Voraussetzungen zu den Geförderten gehören kann. Ob nach diesen Kriterien die Allgemeinheit gefördert wird, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden.
Rz. 4
Über diese personenkreisbezogene Negativabgrenzung anhand S. 2 (vgl. näher Rz. 11ff.) hinaus ist der unbestimmte Rechtsbegriff der "Allgemeinheit" positiv i. S. eines "Gemeinwohls" und eines allgemeinen Besten zu verstehen, zu dessen inhaltlicher Ausfüllung an eine Vielzahl von Faktoren anzuknüpfen ist. Entscheidend ist dabei auf (zumindest im Ansatz) objektive Kriterien abzustellen. Danach wird der Begriff der Allgemeinheit im Wesentlichen geprägt durch die objektive Wertordnung, die im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommt. Als weitere Wertansätze können gelehrte ethische und religiöse Anschauungen, bestehende geistige und kulturelle Ordnungen, aktuelle Forschung, Wissenschaft und Technik, Wirtschaftsstruktur, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse und schließlich auch die Wertvorstellungen der Bevölkerung herangezogen werden. Dabei kann die feststehende, offenkundige und allgemeine Anschauung der Bevölkerung ein Indiz für die Förderung der Allgemeinheit sein. Allerdings darf keine Einschränkung auf bestehende Systeme (Wirtschaftssysteme, die bestehende Wissenschaft usw.) erfolgen.
Rz. 5
Eine Förderung der Allgemeinheit aufgrund einer bestimmten Tätigkeit kann auch dann vorliegen, wenn diese Tätigkeit mit anderen förderungswürdigen Zwecken kollidieren kann. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzes, hier Prioritäten zu schaffen. So kann ein begünstigter Zweck (z. B. Sport) mit einem anderen begünstigten Zweck (z. B. Umweltschutz) im Widerstreit stehen. Beide Zwecke können legitimerweise verfolgt werden; es ist nicht Aufgabe des Gemeinnützigkeitsrechts, hier eine Entscheidung zu treffen. Ungewollte Folgen, selbst wenn sie schädlich sind, die bei einer Aktivität eintreten können (z. B. Unfälle), beeinträchtigen nicht die Förderungswürdigkeit. So sind nahezu alle Sportarten unfallgefährdet. In einer "offenen Gesellschaft" muss es jeder Gruppierung erlaubt sein, ihre Ziele im Rahmen der Gesetze zu verfolgen; sie darf nicht deshalb benachteiligt werden, weil eine andere Gruppierung (oder sogar der Staat) andere Ziele verfolgt (vgl. auch Rz. 6). Nahezu jede Sportaktivität verstößt in größerem oder geringerem Maß gegen Interessen anderer Gruppierungen (Lärm usw.); das Gesetz gibt keinen Maßstab, welche Aktivität den Vorrang haben soll. Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass viele steuerbegünstigte Tätigkeiten mit der Belästigung anderer verbunden sind (z. B. Sperren von Straßen bei Straßenrennen, Faschingsumzügen). Eine Grenze besteht dort, wo sportliche Aktivitäten massiv gegen die Werteordnung der Gesellschaft verstoßen – wenn wie beim Paintball die simulierte Verletzung oder Tötung von Menschen während des Spielgeschehens den sportlichen Charakter massiv überlagert, ist für eine Förderung des Sports kein Raum.
Rz. 6
Eine Förderung der Allgemeinheit kann auch dann vorliegen, wenn sich die Tätigkeit der Körperschaft im Widerspruch zu den Planungszielen des Staates befindet. Bei jedem staatlichen Planungsvorhaben können Interessengegensätze auftreten; besonders deutlich ist dies im Bereich der Industrie- und Energiepolitik, wo das legitime Interesse an einer Weiterentwicklung der Industriestruktur und einer langfristigen Sicherung preiswerter Energie (Kernkraftwerke) auf ebenso legitime Interessen an einer Verhinderung weiterer Umweltgefährdung und -belastung sowie Befürchtungen hinsichtlich der Gefährlichkeit dieser Anlagen stößt. Diese gegenseitigen und einander widersprechenden Interessen sind auszugleichen: dabei ist im Wege einer demokratisch legitimierten Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Seite eine Lösung zu finden, wenn eine Angleichung beide...