Rz. 23
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage betreffen neben der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch die gebotene Normenbestimmtheit und Normenklarheit. Auch bei restriktiver Gesetzesanwendung wird teilweise in Frage gestellt, ob § 88b AO überhaupt hinreichend bestimmt ist und eine entsprechende Auslegung die Verfassungsmäßigkeit der Norm gewährleisten kann. Für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss der Gesetzgeber selbst den Verwendungszweck der erhobenen Daten bereichsspezifisch, präzise und für den Betroffenen erkennbar bestimmen, um dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit zu entsprechen. Dem wird durch die strenge Begrenzung aller Maßnahmen auf den Ermittlungszweck Genüge getan. § 88b AO dient gerade der automationsgestützten Verhinderung und Bekämpfung von länderübergreifenden Steuerverkürzungen und muss dem Ziel, dem die Norm zu dienen bestimmt ist, in verfassungskonformer Ausgestaltung gerecht werden können.
Rz. 24
Der Gesetzgeber muss das Ziel der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auch in einer sich durch weltweite Vernetzung verändernden Welt durch verfassungskonform ausgestaltete und auslegbare verfahrensrechtliche Normen verfolgen. Das rechtsstaatliche Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit ist nur zu verwirklichen, wenn und soweit die verfahrensrechtlichen Vorschriften es zulassen. Der Gesetzgeber muss daher das materielle Steuergesetz in ein verfahrensrechtliches Umfeld einbetten, das grundsätzlich geeignet ist, die tatsächliche Lastengleichheit der Stpfl. zu gewährleisten. Er ist zu derartigen Reaktionen auf rechtstatsächliche Veränderungen also nicht nur berechtigt, sondern von Verfassungs wegen verpflichtet. Er muss der Verwaltung auch ermöglichen, ein Verifikationssystem einzuführen und vorzuhalten, das strukturell der Gefahr von Steuerverkürzungen wirksam begegnet.
Rz. 25
Dabei hat der Gesetzgeber auch und gerade föderalismusbedingten Vollzugsdefiziten gegenzusteuern. Eben dazu dient § 88b AO. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, ein Kontrollsystem zu normieren, das an dem konkreten Kontrollbedürfnis der Steuerfälle ausgerichtet ist. Auf dieser Grundlage steht die Finanzbehörde im Massenverfahren vor einem Optimierungsauftrag, zwischen divergierenden Rechtsgütern in Anwendung und Auslegung des bestehenden Rechts einen verhältnismäßigen Ausgleich zu finden, der kein Rechtsgut auf Kosten des anderen überproportional gewichtet.
Rz. 26
In die Abwägung einzubeziehen ist dabei insbesondere auch das Gewicht des Eingriffs in die Individualsphäre. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage richten sich nach dem Gewicht der Beeinträchtigung, das auch von den Umständen des Verwaltungshandelns beeinflusst wird. Es kommt also wesentlich gerade auf die verfassungsgemäße Auslegung der Norm in der Verwaltungswirklichkeit an. Danach bestimmt sich das Anforderungsniveau an die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage und die Verhältnismäßigkeit der durch sie bewirkten Grundrechtsbeeinträchtigungen. Daran ist § 88b AO zu messen. In einer den dargestellten Abwägungen genügenden Anwendung ist die Norm aber verfassungsgemäß.