Rz. 10

Für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gibt es eine große Vielzahl und Vielfalt von Haftungsgrundlagen. Sie sind in der AO, in Einzelsteuergesetzen oder nichtsteuerlichen Gesetzen niedergelegt und unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht. Der Kreis der Haftenden ist einmal enger, in anderen Vorschriften weiter gefasst. Es wird nur für bestimmte Steuerbeträge gehaftet oder für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. zum Umfang der Haftung Rz. 19). Es kann sich um eine unbeschränkte persönliche Haftung, um eine gegenständlich beschränkte[1] Haftung oder um eine Sachhaftung handeln. Die Haftung kann von einem Verschulden bzw. besonderen Formen des Verschuldens abhängig[2] oder verschuldensunabhängig sein. Weitere wesentliche Unterscheidungsmerkmale lassen sich aufzählen.

[1] Vgl. z. B. § 74 AO.
[2] Z B. § 69 AO.

4.1 Einteilung nach dem Haftungsgrund

 

Rz. 11

Der Haftungsanspruch kann sich aus einer Rechtsnorm oder aus einem zwischen dem Haftenden und der Verwaltung abgeschlossenen Vertrag[1] ergeben. Diese Unterscheidung ist für den Charakter und die Geltendmachung der Haftung von Bedeutung. Die Haftung aufgrund einer Rechtsnorm ist unabhängig vom Standort dieser Vorschrift (Steuerrecht oder Zivilrecht) öffentlich-rechtlicher Art, sie kann von der Finanzbehörde durch Haftungsbescheid nach § 191 AO geltend gemacht und von ihr im Vollstreckungsverfahren nach §§ 249ff. AO durchgesetzt werden. Bei der Durchsetzung eines durch Vertrag begründeten und damit zivilrechtlichen Haftungsanspruchs ist die Finanzbehörde auf den Zivilrechtsweg und die Zwangsvollstreckung nach der ZPO angewiesen. Sie muss sich also zur Durchsetzung ihrer Ansprüche anderer staatlicher Organe bedienen. In einzelnen Fällen ist nicht eindeutig, ob es sich um eine gesetzliche oder eine zivilrechtliche Haftung handelt. Dies gilt z. B. im Fall der Bürgschaft für eine Zollschuld nach Art. 195 ZK (vgl. dazu Rz. 66).

 

Rz. 12

Die Haftung kraft Gesetzes ist in der AO nicht abschließend, sondern nur schwerpunktmäßig geregelt. In §§ 6976 AO sind zwar die für das Besteuerungsverfahren wichtigsten und über eine Steuerart hinausreichenden Haftungsfälle zusammengefasst. Die Vorschrift des § 45 Abs. 2 AO ist keine zusätzliche Haftungsnorm der AO, sondern regelt lediglich, dass für die Schuldner- oder Haftendenstellung eines Erben die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Erben-"Haftung" (= meist Erbenschuld) für Nachlassverbindlichkeiten gelten. Neben den Haftungstatbeständen der AO ergeben sich jedoch zahlreiche weitere Haftungstatbestände aus den Einzelsteuergesetzen. Vgl. Rz. 37–40.

 

Rz. 13

Neben der Haftung aufgrund von Steuergesetzen kann sich der Haftungsgrund der öffentlich-rechtlichen Haftung auch aus Vorschriften des Zivilrechts ergeben. Das wird auch durch § 191 Abs. 4 AO deutlich. Hierbei geht das Gesetz incidenter von dem Grundsatz aus, dass gesetzliche Verpflichtungen nach Zivilrecht auch für öffentlich- rechtliche Verbindlichkeiten gelten. Eine Transformationsvorschrift hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die Fassung des § 191 Abs. 1 AO nicht für erforderlich gehalten (vgl. Rz. 6). Die Haftung hat öffentlich-rechtlichen Charakter.[2]

[2] Ebenso Blesinger, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, Vor §§ 69–77 AO Rz. 2; a. A. Mösbauer, DStR 1984, 94.

4.2 Einteilung nach dem Haftungsgegenstand

 

Rz. 14

Grundsätzlich hat der Haftungsschuldner persönlich für die Erfüllung des Haftungsanspruchs (persönliche Haftung) einzustehen. Erbringt der Haftungsschuldner die Leistung nicht, so unterliegt sein Vermögen dem Zugriff des Gläubigers. Unterschiedlich nach den einzelnen Vorschriften erstreckt sich die Zugriffsmöglichkeit entweder auf das gesamte Vermögen[1] oder nur auf bestimmte Teile des Vermögens.[2]

 

Rz. 15

Haftungsgegenstand kann jedoch auch nur eine bestimmte Sache sein.[3] Bei dieser dinglichen Haftung braucht gegen den Eigentümer der Sache kein persönlicher Anspruch zu bestehen. Unabhängig von der Person des Eigentümers und von dessen Verpflichtungen ruht die Sachhaftung als öffentliche Last auf dem Gegenstand. Haftungsinhalt ist lediglich ein Verwertungsrecht an der Sache.

[1] Unbeschränkt persönliche Haftung; z. B. § 69 AO.
[2] Beschränkt persönliche Haftung; z. B. §§ 74, 75 AO.
[3] Sachhaftung; z. B. § 76; § 12 GrStG; § 20 Abs. 3 ErbStG; § 13 Abs. 2 GmbHG mit § 191 AO.

4.3 Einteilung nach der Stellung des Haftungsanspruchs

 

Rz. 16

Steht der Haftungsanspruch gleichrangig neben dem der Haftung zugrunde liegenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, so liegt eine Nebenhaftung[1] vor. Steuerschuldner und Haftungsschuldner sind nach § 44 Abs. 1 S. 1 AO Gesamtschuldner. Grundsätzlich hat die Verwaltung ein Wahlrecht, welchen der Gesamtschuldner sie in Anspruch nehmen will. Nach der Rspr. gelten allerdings für die Ermessensausübung unterschiedliche Voraussetzungen. In einigen Fällen (deliktischer Art) kann die Finanzbehörde den Haftungsschuldner ohne weitere Begründung vor dem Schuldner in Anspruch nehmen.[2] In anderen Fällen soll die sofortige Inanspruchnahme des Haftenden nur mit besonderer Begründung möglich sein .[3] Bei der Haftung d...

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