1 Allgemeines
Rz. 1
Seit 1993 hat der Gesetzgeber unter Beibehaltung des zweistufigen Gerichtsaufbaus den fakultativen Einzelrichter nach § 6 FGO und den konsentierten Einzelrichter nach § 79a Abs. 3 und 4 FGO für das Finanzgericht eingeführt. Nach § 6 FGO steht eine Übertragung im grundsätzlich freien Ermessen des Senats ("kann"). Damit weicht § 6 FGO von § 6 VwGO, wonach i. d. R. auf den Einzelrichter übertragen werden soll, und von §§ 348, 348a ZPO ab. § 6 FGO gilt nicht für den BFH.
Rz. 2
Mit Einführung des § 6 FGO bezweckte der Gesetzgeber unter Wahrung ausreichenden Rechtsschutzes auch bei nur einer Tatsacheninstanz eine Beschleunigung des Klageverfahrens und den Abbau des großen Bestands unerledigter Klagesachen bei den Finanzgerichten. Trotz der Einzelrichterentscheidungen erwartete der Gesetzgeber nicht, dass eine zu große Rechtszersplitterung oder unvertretbare Qualitätseinbußen eintreten würden und damit der BFH zusätzlich belastet würde. Die Senate sollten von weniger bedeutsamen Verfahren entlastet werden.
Rz. 3
Der BFH hält § 6 FGO in st. Rspr. für verfassungsgemäß. Dabei ist zu beachten, dass schon der Instanzenzug nicht vorgeschrieben ist und der Gesetzgeber bestimmen kann, welche Gerichte mit welchen Spruchkörpern für welche Verfahren sachlich, örtlich und instanziell zuständig sind. Geht man bei § 6 FGO von der Wertung des Gesetzgebers aus, Entscheidungen des Senats und des Einzelrichters seien grundsätzlich gleichwertig, ist § 6 FGO noch vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst. Daher genügt es Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, wenn im senatsinternen Mitwirkungsplan gem. § 21g GVG geregelt wird, dass z. B. Einzelrichter der jeweilige Berichterstatter ist und welche der dem Richterkollegium angehörenden Richter für die anhängig werdenden Sachen jeweils Berichterstatter sein werden.
Rz. 4
Rechtspolitisch ist § 6 FGO im Ergebnis richtig und insgesamt (trotz einiger Einschränkungen) bewährt. Die Finanzgerichte sind grundsätzlich als Kollegialgerichte ausgestaltet, die Finanzgerichtsbarkeit ist zweistufig aufgebaut. Mit § 6 FGO wird der Individualrechtsschutz zwar eingeschränkt. Es liegt aber wegen der Erhaltung des Rechtsschutzprinzips nach Art. 19 Abs. 4 GG sowie Einhaltung des Art. 101 Abs. 2 GG kein relevanter Verstoß gegen Verfassungsrecht vor. Nachteilig ist zwar, dass es keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen den Übertragungsbeschluss gibt (s. Rz. 28). Nicht recht nachvollziehbar ist auch, aus welchen Gründen in der Praxis unterschiedlich häufig im Bundesgebiet von der Übertragungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird. Ob der gewünschte Beschleunigungs- und Entlastungseffekt tatsächlich eingetreten ist, ist bisher nicht abschließend messbar. Zu beachten ist auch die Regelung in § 79a Abs. 3 und 4 FGO. Vor dem Hintergrund dieser Regelungen kann man die Regelung des § 6 FGO mit einer gewissen Skepsis betrachten. Auf jeden Fall kann § 6 FGO nicht dazu benutzt werden, ein Verfahren auf schnellem Wege aus der Welt zu schaffen. Auf der FG-Ebene wird bei Einzelrichterentscheidungen vorgeschlagen, durch einen einzufügenden § 116a Abs. 6 FGO eine Abhilfeemöglichkeit durch den Senat zu schaffen.