Rz. 1
§ 85 FGO dient der Effektivität der Beweisaufnahme. Hierfür bestimmt § 85 FGO als Spezialregelung die Pflichten des Zeugen umfassender als § 378 ZPO, der in § 82 FGO gerade nicht erwähnt wird. § 85 FGO soll – ebenso wie § 84 FGO – die Sachverhaltserforschung im Gerichtsverfahren der des Verwaltungsverfahrens angleichen. § 85 Satz 1 FGO begründet die Pflicht des Zeugen, etwaige Gedächtnislücken durch Einsichtnahme in ihm zur Verfügung stehende Dokumente und Geschäftsbücher, ggf. durch Entnahme von Aufzeichnungen, zu schließen und entspricht den Pflichten des Auskunftsverpflichteten im Verwaltungsverfahren nach § 93 Abs. 3 Satz 2 AO. § 85 Satz 2 FGO legt dem Zeugen mit der Verweisung auf §§ 97, 99, 100 AO weitergehende Vorlage- und Duldungspflichten auf, die ggf. nach § 89 FGO auch erzwungen werden können. Dabei sind aufgrund der Verweisung auf § 104 AO die Auskunftsverweigerungsrechte zu berücksichtigen.
Rz. 2
Art. 3 Nr. 13 des Justizkommunikationsgesetzes (JKomG) ersetzte in § 85 Satz 1 FGO mit Wirkung ab 1.4.2005 das Wort "Schriftstücke" durch das Wort "Dokumente" und erweiterte damit die Hilfspflichten auf elektronische Dokumente im Sinne des § 52a FGO. In § 85 Satz 2 FGO wurde die Verweisung ab 30.6.2013 mit der Aufhebung des § 97 Abs. 2 AO a. F. durch Art. 11 Nr. 10 des AmtshilfeRLUmsG angepasst.
Rz. 3
In § 85 Satz 1 FGO geht es um die eigenen Wahrnehmungen des Zeugen. Er muss sich daher nur aus solchen Unterlagen informieren, zu denen er selbst Zugang hat. Er braucht sich nicht um Unterlagen bei Dritten, denen gegenüber er keinen Herausgabeanspruch hat, zu bemühen. Eine Vorlage bei Gericht ist nicht geboten. Der Zeuge muss aus dem Gedächtnis, ggf. nach Auffrischung durch Einsichtnahme in die Unterlagen oder nach Entnahme von Aufzeichnungen aus den Unterlagen, aussagen. Dem Zeugen obliegt die Pflicht, sich vorab über den Vernehmungsgegenstand zu informieren, da ihm mit der Ladung der Gegenstand der Vernehmung bekannt gegeben werden muss. Der Umfang dieser Pflicht hängt auch von dem konkret bekannt gegebenen Vernehmungsgegenstand ab. Je konkreter dieser bezeichnet wird, desto genauer hat sich der Zeuge zu informieren. Die Informationspflicht wird dabei begrenzt durch das, was man von einem gewissenhaften Zeugen erwarten kann. Eine Informationsbeschaffungspflicht des Zeugen besteht nicht.
Rz. 4
Die in § 85 Satz 2 FGO in Bezug genommenen Vorschriften der AO regeln weitere Möglichkeiten der Sachverhaltserforschung seitens des Gerichts mittels Zeugen von Amts wegen. §§ 97, 99 und 100 AO sind auch in § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO in Bezug genommen. Ihre nochmalige Erwähnung in § 85 FGO bedeutet, dass sie nicht nur Mitwirkungspflichten der Beteiligten, sondern auch Zeugenpflichten regeln, wenn die "anderen Personen" durch Beweisbeschluss zu Zeugen geworden sind.
Rz. 5
Gemäß § 85 Satz 2 FGO kann von Zeugen die Vorlage von Urkunden, ggf. unter Lesbarmachung von Datenträgern, die Vorlage von Wertsachen oder auch das Dulden des Betretens von Grundstücken und Räumen verlangt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kommentierungen der genannten Vorschriften verwiesen.
Rz. 6
Die Vorlagepflichten des § 85 Satz 2 FGO können gem. § 89 FGO, der auf § 380 ZPO und § 255 AO verweist, erzwungen werden. Allerdings ergibt sich aus der Verweisung auf § 104 AO in § 85 Satz 2 FGO, dass der Zeuge die Vorlage verweigern kann, soweit die Auskunft nach §§ 101 bis 103 AO verweigert werden kann. So umfasst das Zeugnisverweigerungsrecht eines Steuerberaters auch die auf ein Mandat hinweisenden Eintragungen im Postausgangs- und Fahrtenbuch und daher kann der Steuerberater die Vorlage derartiger Unterlagen verweigern.
Rz. 7
Besteht Streit über das Bestehen oder den Umfang der Pflichten des Zeugen nach § 85 FGO, so ist in diesem Zwischenstreitverfahren durch Zwischenurteil zu entscheiden. Prozessbeteiligte sind der Zeuge und ggf. derjenige, der das Recht zur Weigerung bestreitet. Wird das Weigerungsrecht bestätigt, so trägt derjenige die Kosten des Zwischenstreits, der das Weigerungsrecht bestritten hat. Gegen das Zwischenurteil ist gem. § 82 FGO i. V. m. § 387 Abs. 3 ZPO die Beschwerde statthaft.