Rz. 60
Jeder in § 9 UStG bezeichnete steuerfreie Umsatz kann als steuerpflichtig behandelt werden. Dies bedeutet, dass der Unternehmer gleichartige Umsätze, welche unter eine in § 9 UStG angeführte Steuerbefreiung fallen, unterschiedlich behandeln kann. Abschn. 9.1 Abs. 1 S. 2 UStAE formuliert dies – ebenso wie davor die UStR – wie folgt:
"Der Unternehmer hat bei diesen Steuerbefreiungen die Möglichkeit, seine Entscheidung für die Steuerpflicht bei jedem Umsatz einzeln zu treffen."
Eine Bank gibt einem selbstständigen Rechtsanwalt und einem selbstständigen Arzt ein Darlehen zur Einrichtung von Praxisräumen.
Im Fall des Rechtsanwalts kann es sich für die Bank empfehlen, auf die Steuerbefreiung der Darlehensgewährung gem. § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG zu verzichten, weil der Rechtsanwalt durch seine steuerpflichtigen Rechtsberatungsumsätze das Recht zum Vorsteuerabzug aus der auf die Zinsen entfallenden USt hat. Die Überwälzung dieser USt auf die Zinsen wird also der Bank problemlos gelingen. Die Bank könnte dann ihrerseits die VSt abziehen, die mit der Darlehensgewährung an den Rechtsanwalt im Zusammenhang stehe.
Beim Darlehen an den Arzt wäre der Verzicht auf die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG zwar gem. § 9 UStG auch möglich, weil auch der Arzt Unternehmer ist und das Darlehen für sein Unternehmen bezieht, aber die Überwälzung der durch die Option entstehenden Steuer wird nicht ohne Weiteres gelingen, denn der Arzt ist wegen seiner gem. § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien heilberuflichen Umsätze gem. § 15 Abs. 2 UStG vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Die Option gem. § 9 UStG in diesem Fall verteuert also die Zinsen sicher um einen Betrag, der höher ist als der Betrag der abzugsfähigen Vorsteuern bei der Bank, sodass die Bank von der Möglichkeit gem. § 9 UStG keinen Gebrauch machen sollte.
Rz. 61
Fraglich kann sein, was unter dem "jeweiligen" Umsatz zu verstehen ist. Dazu ist auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen, welche zur Frage der Teilbarkeit einer Leistung und zum Verhältnis zwischen Haupt- und Nebenleistung gelten.
Ein Unternehmer vermietet ein Gebäude an einen anderen Unternehmer für die Dauer von zehn Jahren. Es wird eine monatliche Mietzahlung vereinbart.
Der gem. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfreie Umsatz "Vermietung" ist zwar insgesamt erst nach Ablauf von zehn Jahren erbracht. Wegen der vereinbarten Zahlung von Monatsmieten liegen hier aber selbstständige Teilleistungen i. S. v. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG vor. Dies bedeutet, dass der Unternehmer seine Entscheidung, ob er den steuerfreien Vermietungsumsatz gem. § 9 UStG als steuerpflichtig behandeln will, für jeden Monat erneut treffen kann (ggf. mit Konsequenzen gem. § 15a UStG; Rz. 51).
Rz. 62
Diese Entscheidung bezieht sich auf die jeweilige Leistung: Liegt eine einheitliche Leistung vor, die sich aus verschiedenen Leistungsteilen zusammensetzt, welche aber wirtschaftlich zusammengehören und daher als unteilbares Ganzes anzusehen sind, kann § 9 UStG nur für die einheitliche Leistung insgesamt angewandt werden; eine Beschränkung der Option auf einen einzelnen unselbstständigen Leistungsteil ist nicht zulässig.
Auf die Steuerfreiheit gem. § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG für eine Kreditgewährung kann bei einer Kreditgewährung an einen Unternehmer, der nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, nur bezüglich des gesamten Umsatzes verzichtet werden, nicht etwa nur für einen Teil. Die Verzichtsmöglichkeit ergibt sich allerdings bei jeder einzelnen Kreditgewährung dann wieder neu.
Rz. 63
Freilich gilt dies nur, soweit nicht schon kraft Gesetzes eine Aufteilung nach Steuerfreiheit und Steuerpflicht vorgeschrieben ist, weil sich die Steuerbefreiung nur auf einen Teil des Umsatzes bezieht. Dies ist z. B. der Fall bei § 4 Nr. 12 UStG: Die Vermietung von Betriebsvorrichtungen zusammen mit einem Grundstück ist, obwohl meistens ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang gegeben ist, getrennt zu behandeln. Hier kann sich die Option gem. § 9 UStG wegen der ohnehin feststehenden Steuerpflicht des Umsatzanteils, der auf die Betriebsvorrichtungen entfällt, nur auf den Grundstücksanteil beziehen.
Rz. 64
Abschn. 3.15. Abs. 2 UStAE bestimmt zur Anwendung der Dienstleistungskommission gem. § 3 Abs. 11 UStG, dass die dabei in der Leistungskette erbrachten Leistungen (vom Kommittenten an den Kommissionär, von diesem an den Abnehmer) zwar inhaltlich gleich zu behandeln sind und auch zeitgleich erbracht werden. Bezüglich der Verhältnisse bei den leistenden Unternehmern, also auch im Hinblick auf die Anwendung des § 9 UStG ist aber jede der beiden vom Kommissionsgeschäft umfasste Leistung gesondert zu betrachten. Die Anwendung des § 9 UStG z. B. durch den Kommittenten hat nicht zur Folge, dass auch der Kommissionär von § 9 UStG Gebrauch machen muss. Das wäre, wenn der Abnehmer nicht Unternehmer ist, auch gar nicht möglich.
Rz. 65
Beim Vorliegen von Haupt- und Nebenleistungen richtet sich die umsatzsteuerli...