Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Wahltarife. Gewährung zusätzlicher Gesundheitsleistung. gesetzliche Krankenkasse (hier: AOK Rheinland/Hamburg). Verfassungsmäßigkeit. Wettbewerbsrecht. Europarecht. konkrete Normenkontrolle
Orientierungssatz
1. Prüfungsgegenstand der konkreten Normenkontrolle kann nur ein formelles Bundes- oder Landesgesetz sein (vgl ua BVerfG vom 20.03.1952 - 1 BvL 12/51 = BVerfGE 1, 184). Dagegen können untergesetzliche Normen, die nicht im Wege eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens verabschiedet wurden, nicht Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle sein.
2. Die aus § 53 Abs 4 SGB 5 fließende Kompetenz der Krankenkassen, Wahltarife zugunsten ihrer Versicherten zur Gewährung zusätzlicher Gesundheitsleistungen einzuführen, ist rechtmäßig und mit Verfassungs-, Wettbewerbs- und Europarecht vereinbar.
Nachgehend
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit neuer Wahltarife der Beklagten, die diese seit dem 01.04.2007 eingeführt und später um weitere Tarife ergänzt hat. Die Beklagte, eine gesetzliche Krankenversicherung, beantragte die Genehmigung einer Satzungsänderung durch das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen. Bestandteil dieser Änderung waren neue Wahltarife in den §§ 26 ff. der Satzung. Diese sahen eine Kostenerstattung für Leistungen im Ausland (§ 26), für "Krankenhauszuzahlung" (§ 27) , für "Ein- oder Zweibettzimmer" im Krankenhaus (§ 28) sowie bei Zahnersatz (§ 29) vor. Die entsprechende Genehmigung wurde am 20.03.2007 durch das Landesversicherungsamt erteilt, so dass die Satzung zum 01.04.2007 in Kraft treten konnte und die entsprechenden Wahltarife durch die Beklagte seitdem angeboten wurden.
Die Klägerin, ein privates Krankenversicherungsunternehmen, mahnte die Beklagte zusammen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung e. V. durch Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten vom 16.05.2007 zunächst ab und forderte sie zur Unterlassung auf. Nachdem diese die Abgabe einer entsprechenden strafbewehrten Unterlassungserklärung mit Schreiben vom 22.05.2007 verweigert hatte, wurde von der Klägerin und dem Verband am 23.05.2007 beim Landgericht Köln der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die auf Unterlassung des Angebots durch die Antragsgegnerin gerichtet war, beantragt. Nach Verweisung an das hiesige Sozialgericht wurde der Antrag mit Beschluss vom 24.01.2008 (Az.: S 40 KR 236/07 ER) abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen [LSG NRW], Beschluss vom 27.05.2008, Az.: L 11 B 6/08 KR ER).
Die Beklagte änderte zum 01.07.2012 erneut ihre Satzung, um weitere Wahltarife zu schaffen. Nach Genehmigung der Satzung durch die Aufsichtsbehörde wurden Wahltarife für Kostenerstattung bei Vorsorgeleistungen zur Zahngesundheit (§ 33), bei häuslicher Krankenpflege (§ 34), bei Brillen (§ 34a) und bei kieferorthopädischer Behandlung (§ 35) eingeführt.
Mit der am 06.08.2008 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel in der Hauptsache weiter. Sie ist der Ansicht, dass schon keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der von der Beklagten geschaffenen Wahltarife bestehe. § 53 Abs. 4 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) regele nur die Möglichkeit, für den Fall der Kostenerstattung entsprechende Wahltarife einzuführen. Daneben bestehe § 13 SGB V unverändert fort. Insoweit nehme Satz 3 des § 53 Abs. 4 SGB V auf die Regelung des § 13 Abs. 2 SGB V Bezug. Daraus folge insgesamt, dass die Kostenerstattung nur anstelle der Dienst- oder Sachleistung erfolgen könne, so dass keine Leistungen erbracht werden könnten, die über § 11 SGB V hinausgehen würden. Mit der Regelung solle letztlich dem Wunsch der Versicherten entsprochen werden, Leistungen autonom beziehen und diese selbstständig abrechnen zu können. In diesem Zusammenhang schaffe § 53 Abs. 4 SGB V die Grundlage, die Kostenerstattung von der Krankenkasse zu verlangen und wie ein Privatpatient aufzutreten. Es fände sich in der Gesetzesbegründung kein Hinweis, dass mit der Norm über den gesetzlich vorgesehenen Sach- und Dienstleistungskatalog hinausgegangen werden dürfe. Vielmehr sei dort explizit angegeben, dass nur die Höhe der Kostenerstattung variabel sei. Damit sollten die Möglichkeiten der Kostenerstattung flexibilisiert und entbürokratisiert werden. Dies zeige, dass nur eine Kostenerstattung geregelt werden sollte, nicht aber eine optionale Leistungsaufstockung. Möglich sei daher ein Wahltarif, der die Erstattung von Rechnungen, die nach der Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) oder der Gebührenordnung der Zahnärzte (GOZ) berechnet worden seien, ermögliche. Dies sei durchaus attraktiv, da man faktisch wie ein Privatpatient auftrete, was Vorteile für den Versicherten mit sich bringe. Bei einer anderen Sichtweise würde die Regelung des § 194 Abs. 1a SGB V umgangen. Dieser sehe nur eine Kooperation mit einer ...