0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) v. 16.7.2015 (BGBl. I S. 1211) mit Wirkung zum 23.7.2015 eingeführt worden.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift gehört zum Vierten Abschnitt SGB V, der die §§ 115 bis 122 umfasst und den Titel Beziehungen zu Krankenhäusern und Vertragsärzten trägt. Sie ist Teil der spezialfachärztlichen ambulanten Versorgung, in der gesetzlich definierte Patientengruppen medizinisch ambulant versorgt werden, sofern diese in den bestehenden ambulanten Versorgungsstrukturen (z. B. vertrags(zahn)ärztliche Versorgung als Regelversorgung) nicht ausreichend versorgt werden können. Die Vorschrift korrespondiert mit dem ebenfalls zum 23.7.2015 eingeführten § 43b, der für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen einen Rechtsanspruch auf nichtärztliche Leistungen, insbesondere auf psychologische, therapeutische und psychosoziale Leistungen begründet, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung durch ein medizinisches Behandlungszentrum erbracht werden und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen. Dies umfasst auch die im Einzelfall erforderliche Koordinierung von Leistungen.
Mit der Vorschrift hat der Gesetzgeber einer langjährigen Forderung der Fachverbände für Menschen mit Behinderung (Bundesverband evangelischer Behindertenhilfe e. V., Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V., Bundesverband anthroposophisches Sozialwesen e. V., Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V.), der deutschen Ärzteschaft, der Bundesarbeitsgemeinschaft Ärzte für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation und anderer Akteure Rechnung getragen, um die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderungen weiter zu verbessern. Entsprechend der bereits für Kinder und Jugendliche geltenden Regelungen zur Ermächtigung sozialpädiatrischer Zentren (vgl. § 119) ist mit der Vorschrift die Rechtsgrundlage für die bedarfsabhängige Ermächtigung von medizinischen Behandlungszentren zur ambulanten Behandlung von Erwachsenen geschaffen worden.
Im gestuften ambulanten medizinischen Versorgungssystem bilden spezialisierte ambulante Behandlungszentren nach der Stufe der hausärztlichen Grundversorgung und nach der Stufe der fachärztlichen Versorgung die dritte Stufe der spezialisierten Versorgung. Dies trägt der Forderung des Art. 25 der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung, dass Menschen mit Behinderung neben den medizinischen Versorgungsangeboten wie alle anderen Menschen zusätzlich diejenigen Leistungen erhalten sollen, die sie speziell wegen ihrer Behinderung benötigen.
2 Rechtspraxis
2.1 Medizinisches Behandlungszentrum
Rz. 3
Ein medizinisches Behandlungszentrum liegt nach Abs. 1 Satz 1 vor, wenn es fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung steht und die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche Behandlung von Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen bietet. Eine ständige ärztliche Leitung setzt die Anwesenheit des ärztlichen Leiters/stellvertretenden ärztlichen Leiters im Behandlungszentrum voraus. Eine ständige ärztliche Verantwortung, die keine dauernde Anwesenheit des verantwortlichen Arztes verlangt oder eine ärztliche Betreuung durch einen geeigneten Facharzt außerhalb des Zentrums reichen nicht aus. Die ärztliche Leitung muss also auf Dauer und in der Funktion leitender Arzt/stellvertretender leitender Arzt gewährleistet sein. Fachlich-medizinisch bedeutet, dass der ärztliche Leiter und sein Stellvertreter für die Behandlung des in Abs. 2 definierten Klientels über entsprechende Erfahrung verfügen und fachlich geeignet sind, was nur auf bestimmte Arztgruppen zutrifft, während andere Arztgruppen, wie z. B. Chirurgen oder Augenärzte, für die ärztliche Leitung des medizinischen Behandlungszentrums nicht in Betracht kommen. Mit dem Antrag auf Ermächtigung ist die Erfüllung dieser Voraussetzungen gegenüber dem Zulassungsausschuss nachzuweisen, wozu auch die Namensangabe und die berufliche Qualifikation des ärztlichen Leiters und des stellvertretenden ärztlichen Leiters gehören.
Eine Beschreibung der medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen ergeben sich aus der Rahmenkonzeption (Stand 12.10.2015), welche die Fachverbände für Menschen mit Behinderung und die Bundesarbeitsgemeinschaft Ärzte für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung entwickelt haben, um den Trägern, die ein medizinischen Behandlungszentrum gründen wollen, inhaltliche Orientierung für interne Vorbereitungen, für die Erarbeitung an die örtlichen Verhältnisse angepasster Konzepte sowie für den Antrag an den Zulassungsausschuss und für die Verhandlungen mit den Krankenkassen zu geben. Die Rahmenkonzeption, die laufend weiterentwickelt und angepasst wird, hat zwar keine rechtli...