Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
Rz. 114
Sofern das Finanzamt einen Feststellungsbescheid über den Grundbesitzwert vor dem Verkauf des Grundstücks erteilt, kann die Bestandskraft des Feststellungsbescheids eintreten, bevor der niedrigere Kaufpreis realisiert wird und als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts geltend gemacht werden kann. Anfänglich hat die Finanzverwaltung die Auffassung vertreten, dass eine Änderung bestandskräftiger Feststellungsbescheide nicht möglich ist. Diese Auffassung war zwischenzeitlich aufgegeben worden. Nach – vorübergehender – Auffassung der AOr der Länder erfüllte der Nachweis eines niedrigeren Verkaufserlöses innerhalb des genannten Zeitraums von einem Jahr vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 173 AO. In diesem Fall kann eine Berichtigung des bereits bestandskräftig festgestellten Grundbesitzwerts wegen neuer Tatsachen nach § 173 AO in Betracht kommen. Denn der Kaufpreis gilt als gemeiner Wert im Bewertungsstichtag. Die bereits im Bewertungsstichtag – nach Tz. 2 Abs. 5 der gl. lt. Erl. v. 2.4.2007 – bestehende Tatsache, also die Höhe des gemeinen Werts, wird durch die Realisierung des Kaufpreises nachträglich bekannt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung war "grobes Verschulden" i.S.d. § 173 AO nicht zu prüfen, obwohl die Berichtigung zugunsten des Steuerzahlers wirkte.
Eine Berichtigung wegen neuer Tatsachen war nur bei einem nachträglich bekannt gewordenen Kaufpreis möglich. Legte der Steuerzahler dagegen ein Gutachten eines Sachverständigen erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist vor, war eine Berichtigung wegen neuer Tatsachen ausgeschlossen.
Rz. 115
Diese für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung ist überholt. Bereits mit Urteil des FG Baden-Württemberg vom 25.6.2012 ist eine Änderungsmöglichkeit eines Feststellungsbescheids nach § 173 AO verneint worden, wenn nachträglich ein Kaufpreis für das bereits bewertete Grundstück (im gewöhnlichen Geschäftsverkehr) zustande kommt. Danach sei mit der Formulierung "nachträglich bekannt werden" in § 173 Abs. 1 AO gemeint, dass sowohl die entsprechende Tatsache als auch das betreffende Beweismittel zum Zeitpunkt des Erlasses des zu ändernden Bescheides bereits entstanden ("existent") und lediglich dem zuständigen Finanzamt unbekannt gewesen sein muss. Komme ein Kaufvertrag, der einen niedrigeren Grundstückswert nachweisen soll, erst nach Erlass des Feststellungsbescheides über den Wert des Grundstückes zustande, ist dieses Beweismittel nicht i.S.d. § 173 AO nachträglich bekannt geworden.
Rz. 116
Die Finanzverwaltung ist dem Urteil des FG BW gefolgt. Nunmehr gilt:
- Eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 AO liegt vor, wenn der Verkauf eines Grundstücks vor der abschließenden Entscheidung des für die Feststellung des Grundstückswerts zuständigen Amtsträgers erfolgt und ihm diese Tatsache bei seiner Entscheidung nicht bekannt war.
- Sofern der Feststellungsbescheid bereits unanfechtbar geworden ist, kann der Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden, sofern den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden am verspäteten Bekanntwerden dieser Tatsache trifft. Somit dürfte die Berichtigung wegen neuer Tatsachen in der Praxis regelmäßig am Tatbestandsmerkmal des groben Verschuldens scheitern.
- Sofern der Verkauf des Grundstücks erst nach der abschließenden Entscheidung des für die Feststellung des Grundstückswerts zuständigen Amtsträgers erfolgt, kommt eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht.
Das FG BW hat mit seinem Urteil vom 25.6.2012 auch die Frage verneint, ob die Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden kann. Auch dieser Auffassung hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen.
Rz. 117
Der BFH hatte sich ebenfalls mit der Frage zu befassen, ob die Berücksichtigung des Verkaufspreises für eine Eigentumswohnung als Nachweis des niedrigeren Werts nach Bestandskraft des Wertfeststellungsbescheids möglich ist. Der BFH ist dem Urteil des FG Thüringen gefolgt und hat wie folgt entschieden:
- Die Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt bei einem zeitnahen Verkauf der Wohnung nur in Betracht, wenn die Wohnung schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung verkauft wurde.
- Wird der Kaufvertrag erst nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung abgeschlossen, liegt ein nachträglich entstandenes Beweismittel vor, das nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führt.
- Der erst nach Eintritt der Bestandskraft der Feststellungsbescheide erfolgte Verkauf der Eigentumswohnung ist kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das die Änderung der Wertfeststellung rechtfertigt.