Rz. 546
Ebenso wie früher die Erhebung der Vermögensteuer folgt auch die Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung dem Prinzip der Besteuerung nach der (individuellen) wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (= Nettoprinzip, Bereicherungsprinzip). So erfassen die Erbschaft- und Schenkungsteuer den aus dem steuerpflichtigen Vorgang (Erwerb von Todes wegen, Schenkung unter Lebenden. Zweckzuwendungen, vgl. § 1 Abs. 1 ErbStG) resultierenden Vermögensanfall beim Erwerber, weil und soweit dieser Vermögensanfall beim Erwerber einen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und mithin eine Bereicherung bewirkt. Dementsprechend heißt es in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, dass als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Erwerbers gilt, soweit sie nicht steuerfrei ist. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG gilt als Bereicherung grundsätzlich der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten, der Besteuerung unterliegenden Vermögensanfalls die nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abziehbaren (d.h. in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den unentgeltlich übergehenden bzw. übertragenen aktiven Wirtschaftsgütern stehenden) Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert abgezogen werden. Entsprechendes gilt für Schenkungen unter Lebenden. So heißt es in § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, dass als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden gilt, "soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird."
Rz. 547
Nach § 121 Abs. 3 letzter Satz BewG a.F. waren bei der Ermittlung des Inlandsvermögens die Vorschriften des § 118 BewG a.F. über den Abzug von Schulden und Lasten bei der Ermittlung des Gesamtvermögens mit der Einschränkung anzuwenden, dass nur die Schulden und Lasten abzuziehen waren, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Inlandsvermögen standen. Dieselben Grundsätze galten und gelten auch heute noch für erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Zwecke. In R E 2.2 Abs. 7 Satz 1 ErbStR 2019 heißt es hierzu zutreffend, dass Schulden und Lasten nur insoweit abzuziehen sind, als sie mit dem Inlandsvermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und dieses Vermögen belasten.
Rz. 548
Ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Inlandsvermögen und Schulden ist dann gegeben, wenn die Entstehung der Schulden ursächlich und unmittelbar auf Vorgängen beruht, die das Inlandsvermögen insgesamt oder einzelne Wirtschaftsgüter des Inlandsvermögens betreffen. Sie müssen nach Entstehung und Zweckbestimmung mit dem Inlandsvermögen verknüpft sein. Ein solcher wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen einem Vermögensgegenstand und einer Schuld oder Last ist zumindest dann zu bejahen, wenn eine Verbindlichkeit zum Erwerb, zur Sicherung oder zur Erhaltung des betreffenden Vermögensgegenstands eingegangen wird. Nach dem BFH-Urteil v. 16.8.1961 soll eine Schuld nicht abziehbar sein, die lediglich mit der Verwaltung, nicht aber mit dem Bestand des Inlandsvermögens wirtschaftlich zusammenhängt. Dem ist m.E. nicht zu folgen, weil die vom BFH dort vorgenommene Differenzierung nicht einleuchtet.
Rz. 549
Hat ein beschränkt Steuerpflichtiger im Inland ein Grundstück erworben, kann die Verpflichtung zur Entrichtung des vereinbarten Kaufpreises, soweit sie am Bewertungsstichtag noch nicht erfüllt ist, grundsätzlich bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens abgezogen werden, wenn sie eine ernsthafte wirtschaftliche Belastung darstellt. Hat ein beschränkt Steuerpflichtiger inländischen Grundbesitz unter Zuhilfenahme eines Darlehens erworben und löst er die Darlehensschuld durch Aufnahme eines hypothekarisch gesicherten Kredits ab, so steht auch der neue Kredit in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Grundstück. Hat ein beschränkt Steuerpflichtiger aufgrund eines Vermächtnisses ein Grundstück gegen die Bestellung einer Nießbrauchslast zugunsten des Alleinerben erhalten, wie es im Testament angeordnet war, so besteht zwischen dem Erwerb und der Nießbrauchsbestellung ein wirtschaftlicher Zusammenhang.
Rz. 550
Den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen zum (erweiterten) Inlandsvermögen gehörenden Sparkassenbriefen und der Aufnahme von Darlehen hat der BFH zutreffend in dem folgenden Fall verneint: Der Steuerpflichtige hatte 1973 seinen Wohnsitz von Deutschland nach Liechtenstein verlegt. Seine Sparkassenbriefe über 1,8 Mio. DM konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht an die betreffende Sparkasse zurückgeben, weil sie nicht vorzeitig kündbar waren. Er nahm daher verzinsliche Darlehen i.H.v. 1,8 Mio. DM auf und transferierte die entsprechenden Geldbeträge ins Ausland. Zur Sicherung der Darlehen bestellte der Kläger der Sparkasse Pfandrechte an den Sparkassenbriefen. Die Forderungen und Zinsen aus den Sparkassenbriefen und die Schulden und Schuldzinsen aus den Darlehen sollten bei Fälligkeit gegeneinander aufgerechnet werden. Der BFH wies zutreffend darauf hin, dass der Kläger...