In Deutschland gibt es keine einheitlichen gesetzlichen Regelungen für das internationale Gesellschaftsrecht. Es beruht vielmehr auf Rechtsprechung. Historisch wurde die strenge Sitztheorie vertreten. Dies hatte für in Deutschland gegründete Kapitalgesellschaften zur Folge, dass diese ihren Verwaltungssitz nicht ins Ausland verlegen durften, weil sie dann aus deutscher Sicht nicht mehr als deutsche Kapitalgesellschaften anzusehen waren, sondern als aufgelöst galten (s. dazu auch Abschnitt 3.4). Umgekehrt wurden im Ausland gegründete Kapitalgesellschaften bei Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland hier nicht als solche anerkannt, weil sie nicht nach den Grundsätzen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts gegründet worden waren (s. Abschnitt 1.2.1).

Die strenge Sitztheorie wurde im Jahr 2008 durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) aufgeweicht, indem der Gesetzgeber deutschen GmbHs, AGs und KGaAs seitdem nicht mehr gesetzlich auferlegt, dass am (Satzungs-)Sitz der Gesellschaft auch die Geschäftsführung oder ein Betrieb der Gesellschaft liegen muss (Streichung des 2. Absatzes sowohl in § 4a GmbHG als auch in § 5 AktG). Auch wenn sich dies nicht eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, ist es allgemein anerkannt, dass die Neuregelung in §§ 4a GmbHG, 5 AktG so zu verstehen ist, dass deutsches Gesellschaftsrecht auch dann weiter auf eine GmbH, AG oder KGaA anwendbar bleibt, wenn ihr Verwaltungssitz im Ausland liegt, wobei nicht zwischen EU-/EWR-Staaten und Drittstaaten zu unterscheiden ist (Heinze in MüKoGmbHG, § 4a Rn. 93).

 
Hinweis

Praxishinweis

Die Verlegung des Verwaltungssitzes ist grundsätzlich ein rein tatsächlicher Vorgang. Nach wohl herrschender Meinung handelt es sich dabei allerdings nicht um eine Geschäftsführungsmaßnahme, sondern sie bedarf (bei einer GmbH) eines mit einfacher Mehrheit gefassten Beschlusses der Gesellschafterversammlung. Angesichts der weitreichenden Folgen, die mit einer Verlegung des Verwaltungssitzes verbunden sind, kann es im Einzelfall angezeigt sein, eine Regelung in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen, dass ein entsprechender Beschluss einer qualifizierten Mehrheit und/oder der Zustimmung bestimmter Gesellschafter und/oder eines Aufsichts- oder Beirates bedarf (Heinze in MüKoGmbHG, § 4a Rn. 97).

Zuvor hatte schon der Bundesgerichtshof (BGH) für die Anerkennung von im EU/EWR-Ausland gegründeten Gesellschaften in Deutschland den Wechsel zur Gründungstheorie vollzogen (z. B. BGH vom 14.03.2005, II ZR 5/03, NJW 2005, 1648, für eine britische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland). Hintergrund für diesen Wechsel waren die bereits zitierten Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Centros (EuGH vom 09.03.1999, C-212/97, ZIP 1999, 438), Überseering (EuGH vom 05.11.2002, C-208/00, WM 2002, 2372) und Inspire Art (EuGH vom 30.09.2003, C-167/01, NZG 2003, 1064), durch die die strenge Sitztheorie als unvereinbar mit der europäischen Niederlassungsfreiheit eingestuft worden war.

Der Centros-Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, nach dem eine britische Limited gegründet worden war, die jedoch von Anfang an ihre gesamte Geschäftstätigkeit über eine Zweigniederlassung in Dänemark, wo sich auch der tatsächliche Verwaltungssitz der Limited befand, ausüben sollte. Die dänischen Behörden hatten die Eintragung dieser Zweigniederlassung u. a. mit der Begründung verweigert, es liege eine Umgehung der dänischen Mindestkapitalvorschriften vor. Der EuGH sah in dieser Verweigerungshaltung eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Er entschied, dass die bewusste Ausnutzung unterschiedlicher Rechtssysteme für sich allein genommen noch keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit darstelle, selbst wenn sie in der offenen Absicht erfolge, die "größte Freiheit" zu erzielen und mit einer ausländischen Briefkastengesellschaft zwingende inländische Bestimmungen zu umgehen (Weller in MüKoGmbHG, Einleitung Rn. 351).

In der Überseering-Entscheidung ging es um die niederländische Überseering B. V., die nach anfänglicher Geschäftstätigkeit in den Niederlanden ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Düsseldorf verlegt hatte. Eine von ihr gegen einen Kunden in Deutschland erhobene Schadenersatzklage war vom LG Düsseldorf mit der Begründung als unzulässig abgewiesen worden, der zugezogenen Gesellschaft sei aufgrund der in Deutschland herrschenden Sitztheorie die Rechtsfähigkeit und damit auch die Parteifähigkeit (§ 50 ZPO) abzusprechen. Nach Auffassung des EuGH verstieß die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft gegen die Niederlassungsfreiheit und er entschied, dass der Zuzugsstaat die nach dem Gründungsrecht der Gesellschaft auch bei Grenzübertritt fortbestehende Rechts- und Parteifähigkeit achten muss. Nach dieser Entscheidung verstößt die Sitztheorie insofern gegen die Niederlassungsfreiheit, als die Gründungsvorschriften des Sitzstaates (konkret in Deutschland) eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründete Gesells...

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