Dietrich Weilbach, Birthe Kramer
Rz. 5
Zur Gegenleistung gehören nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auch die dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Darunter versteht man solche Nutzungen, die sich der Verkäufer für den Zeitraum nach dem Übergang des Besitzes auf den Erwerber vorbehält (vgl. § 446 BGB).
Nutzungen sind die Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt (vgl. §§ 99, 100, 101 BGB). Früchte einer Sache sind die unmittelbaren Sachfrüchte (§ 99 Abs. 1 BGB) und die unmittelbaren Rechtsfrüchte (§ 99 Abs. 2 BGB). Zu den Früchten einer Sache zählen auch die Erträge, welche eine Sache oder ein Recht als Ausfluss aus einem Rechtsverhältnis gewährt (sog. mittelbaren Sach- und Rechtsfrüchte, vgl. §§ 99 Abs. 3, 100 BGB). Dazu zählen die durch Vermietung oder Verpachtung einer Sache erzielten Miet- oder Pachteinnahmen.
Nach der Grundregel des § 320 BGB sind bei gegenseitigen Verträgen die von den Vertragsparteien zu erbringenden Leistungen gleichzeitig zu bewirken. Nur in diesem Fall sind die gegenseitigen Leistungspflichten als gleichwertig anzusehen. Nach bürgerlichem Recht stehen dem Käufer dementsprechend ab dem Zeitpunkt der Übergabe des Grundstücks die Nutzungen des Grundstücks zu (§ 446 S. 2 BGB). Ggf. kann insoweit auch ein früherer Zeitpunkt in Betracht kommen (z. B. beim Erbschaftskauf, vgl. § 2380 BGB oder beim Erwerb in der Zwangsversteigerung, vgl. §§ 56, 89 ZVG).
Allerdings ist die Rechtsfolge des § 446 BGB abdingbar. Geschieht dies und behält sich der Veräußerer vertraglich die ansonsten kraft Gesetzes auf den Käufer übergehenden Nutzungen weiterhin vor, erlangt er dadurch einen an sich dem Käufer nach § 446 Abs. 1 BGB zustehenden Vermögensvorteil. Verzichtet der Käufer eines Grundstücks trotz sofortiger Kaufpreiszahlung und Eintragung im Grundbuch auf das ihm eigentlich ebenfalls sofort zustehende Nutzungsrecht, indem er dem Verkäufer über diesen Zeitpunkt hinaus die Nutzungen des Grundstücks überlässt, resultiert aus diesem Verzicht des Käufers eine Diskrepanz zwischen Leistung und Gegenleistung. Leistung des Verkäufers und Gegenleistung des Käufers stehen sich dadurch nicht mehr gleichwertig gegenüber. Im Umfang dieser Ungleichwertigkeit liegt eine als vorbehaltene Nutzung zu erfassende Gegenleistung vor (FG Baden-Württemberg v. 13.11.1981, IX 153-154/81, EFG 1982, 428; die hiergegen eingelegte Revision wurde durch BFH v. 23.11.1983, II R 38/82, gem. Art. 1 Nr. 7 BFH-EntlastG als unbegründet zurückgewiesen).
Rz. 5a
Unter den Begriff der vorbehaltenen Nutzungen i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG fallen Nutzungen aller Art (BFH v. 13.7.1960, II 49/60 U, BStBl III 1960, 413). Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Nutzungsrecht bereits vor dem Abschluss des Kaufvertrags bestanden hat oder erst beim Erwerbsvorgang bzw. im Zusammenhang mit diesem neu begründet wird (vgl. BFH v. 13.7.1960, II 49/60 U, BStBl III 1960, 413, und BFH v. 20.4.1977, II R 48/76, BStBl II 1977, 676). Zu den vorbehaltenen Nutzungsrechten zählen insbesondere
- Nießbrauchs- und Wohnungsrechte (vgl. schon die Begründung zu § 11 Abs. 8 GrEStG 1940),
- als beschränkt persönliche Dienstbarkeit (§§ 1090ff. BGB) eingeräumte Wohnungsrechte,
- obligatorische Geh- und Fahrtrechte (BFH v. 27.10.1970, II 72/65, BStBl II 1971, 278),
- vom Verkäufer gem. §§ 31ff. WEG begründete und auf den Käufer gegen Einmalleistung übergehende Dauerwohn- oder Dauernutzungsrechte (vgl. Hofmann, GrEStG, 9. Aufl. 2010, § 9 Rz. 28),
- eine Vereinbarung zwischen Verkäufer und Käufer, wonach der Verkäufer die an ihn vom Mieter (ggf. als Baukostenzuschüsse) geleisteten Mietvorauszahlungen behalten darf (RFH v. 16.7.1929, Mr. § 12 Abs. 2 S. 1 R 52; vgl. auch BFH v. 27.2.1957, II 211/56 U, BStBl III 1957, 110, und BFH v. 22.6.1977, II R 22/71, BStBl II 1977, 703),
- die Aberntung der Früchte eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks nach dessen Übergabe an den Käufer durch den Veräußerer.
Als eine nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zu berücksichtigende vorbehaltene Nutzung handelt es sich auch dann, wenn dem Veräußerer das von ihm veräußerte Gebäude zu einer weit unter dem üblichen Mietwert liegenden niedrigen Miete überlassen wird oder er bei einem Gebäude mit mehr als einer Wohnung für die Nutzung einer der Wohnungen nur eine besonders niedrige Miete entrichten muss (vgl. RFH v. 11.3.1930, DVR 1930, 108).
Rz. 5b
Die Frage, ob eine dem Verkäufer vorbehaltene Nutzung vorliegt, stellt sich auch bei der Veräußerung von Grundstücken, die zwecks Ausbeute von Erdöl an Mineralölgesellschaften gegen die Gewährung von Erdölförderzinsen übertragen worden sind, sich die Eigentümer der Grundstücke die Rechte (Förderzinsen) aus dem Erdölabbauvertrag vorbehalten haben und diese Rechte durch eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit (§§ 1090ff. BGB) gesichert sind. Da der vorbehaltene Erdölförderzins hier auf einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit beruht, ist er als weitere Gegenleistung zu erfassen. Eine Hinzurechnung des Erdölförderzinses als vorbehaltene Nutzung zur...