Steuerrecht und Digitalisierung: Entscheidet bald der Code?

Gilt der Satz „Code is Law“ bald auch für das Steuerrecht? Nein, sagt Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofs. Warum die Digitalisierung trotzdem das Steuerrecht verändert, erklärt er im Interview.

Das bedeutet die Digitalisierung für das Steuerrecht


Herr Mellinghoff, glauben Sie, man könnte die Richter am Bundesfinanzhof irgendwann durch Künstliche Intelligenz ersetzen?

Mellinghoff: Nein. Die Tätigkeitsfelder für Richter werden sich durch die Künstliche Intelligenz verändern, ersetzen wird man das menschliche Können aber nicht.

Wie digital arbeitet der Bundesfinanzhof momentan?

Die Richter arbeiten unterschiedlich intensiv digital. Wir haben eine elektronische Verwaltungsakte, ein Geschäftsstellenprogramm, das elektronisch abläuft, wir verfügen über Datenbankzugänge, die man für die Literaturrecherche benötigt und wir arbeiten an der Einführung einer elektronischen Gerichtsakte. Wir sind bei der Digitalisierung auf einem guten Weg, aber es liegt sicherlich noch viel vor uns.

Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist keine zwei Jahre her. Die digitale Transformation ist allerdings schnell und durchdringt auch das Steuerrecht. Hinkt der Gesetzgeber aktuell den Entwicklungen hinterher?

Der Gesetzgeber hat mit diesem Gesetz einen ersten Schritt gemacht und wir werden bestimmt noch weitere Veränderungen sehen. Das Problem liegt aber weniger in der Gesetzgebung, sondern in der tatsächlichen Umsetzung in der Praxis.

Trotz Digitalisierung werden die Gesetze nach wie vor in deutscher Sprache verfasst.

Für eine umfassende Digitalisierung benötigen Unternehmen und Behörden nicht nur die technischen Voraussetzungen, sondern auch die Menschen, die damit umgehen können. Das ist auch eine Generationenfrage. Die jüngere Generation wächst mit den neuen Techniken auf; die älteren haben es da schwerer.

Wo sehen Sie in Zukunft Auslegungsbedarf in Bezug auf das Steuerrecht und die Digitalisierung?

Der Auslegungsbedarf wird ja immer bleiben. Trotz Digitalisierung werden die Gesetze nach wie vor in deutscher Sprache verfasst. Sie müssen entsprechend ausgelegt werden. Die Digitalisierung führt aber dazu, dass die Gesetze von Programmierern umgesetzt werden. Das wird uns vor neue Herausforderungen stellen.

Rudolf Mellinghoff

Sie haben einmal gesagt: „Wir müssen aufpassen, dass unsere ganzen Maßstäbe durch die Digitalisierung nicht verdrängt werden.“ Wo sehen Sie konkrete Gefahren?

Wir haben verfassungsrechtliche und auch ethische Maßstäbe in unserer Gesellschaft. Die dürfen nicht zur Disposition stehen. Es darf nicht passieren, dass Programmierer die Herrschaft über das Gesetz übernehmen. Der Gesetzgeber muss das Gesetz in deutscher Sprache abfassen. Erst anschließend stellt sich die Frage, wie man ein Gesetz technisch umsetzen und wie diese Umsetzung dann kontrolliert werden kann. Dass immer noch ein demokratisch legitimiertes Gesetz in deutscher Sprache am Beginn dieses Prozesses steht, das halte ich für unabdingbar.


Rudolf Mellinghoff: „Natürlich wird die Digitalisierung die Besteuerung verändern“


Wenn es allerdings möglich sein soll, dass das Recht in einen Code überführt werden kann, muss das Recht dann nicht unbürokratischer werden?

Natürlich kann man nicht befürworten, dass hochkompliziertes Recht jetzt noch komplizierter geregelt wird. Das Gegenteil ist der Fall. Das Recht, und insbesondere das Steuerrecht, muss vereinfacht werden. Wir müssen vermehrt mit Typisierungen und Pauschalisierungen arbeiten, damit das Recht auch gut digitalisiert werden kann.

Dann beugt sich das Recht also doch dem Code?

Das Recht soll vereinfacht werden. Aber es bleibt dabei: Der Gesetzgeber und nur der Gesetzgeber schafft das Recht und er muss sich darüber im Klaren sein, was das Recht bewirkt und was daraus folgt.

Muss sich der BFH in seiner Rechtsprechung aktuell überhaupt mit dem Thema Digitalisierung befassen?

Es ist ja nicht so, dass die Digitalisierung erst heute beginnt. Die elektronische Steuererklärung gibt es schon seit vielen Jahren. Daher gibt es schon schon seit einiger Zeit Entscheidungen, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Paragraf 129 der Abgabenordnung oder andere Korrekturvorschriften anwendbar sind, wenn es zu Fehlern im Zusammenhang mit der elektronischen Steuererklärung kommt.

Es ist ja nicht so, dass die Digitalisierung erst heute beginnt.

Auch der elektronische Rechtsverkehr beschäftigt schon jetzt die Rechtsprechung. Gegenwärtig beschäftigen wir uns mit den Problemen der Zustellung von Schriftsätzen bei der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten.

Sehen Sie in Zukunft in diesem Bereich noch mehr auf den BFH zukommen, auch unter dem Schlagwort Künstliche Intelligenz?

Natürlich wird die Digitalisierung die Besteuerung verändern. Da werden auch große Herausforderung auf uns zukommen. Die Rechtsprechung des BFH wird sich in Zukunft vermehrt mit der digitalen Betriebsprüfung beschäftigen müssen. Ein Problem dabei sind die Quantilsschätzungen, die bereits heute angewandt werden. Künstliche Intelligenz ist im Übrigen zunächst einmal nur ein ganz allgemeines Schlagwort. Wir haben in der Veranlagung der Besteuerung bis jetzt kaum KI. Es ist nicht so, dass die Finanzverwaltung Künstliche Intelligenz einsetzt.

Fühlen Sie sich vorbereitet, sollte es so weit kommen?

Das alles sind im Grunde keine neuen Entwicklungen, die uns beschäftigen. Schon in den 1970er Jahren wurde Literatur zum maschinengeschriebenen Recht und dessen Umsetzung verfasst. Wir beschäftigen uns in der Theorie mit vielen Fragen. Am Ende kommt es darauf an, wie diese Überlegungen in der Praxis umgesetzt werden, und welche Fragestellungen dann zu bewältigen sind. Dann können wir Schritt für Schritt zu einer Lösung kommen.

In einigen Ländern gibt es zum Teil schon Steuererhebungen in Echtzeit, diese Szenarien könnten weitergedacht werden zu einem „gläsernen Steuerpflichtigen“, der alle seine relevanten Daten dem Finanzamt zur Verfügung stellt. Was halten Sie davon?

Dass man dem Staat gegenüber im Besteuerungsverfahren gläsern sein muss, ist vorgesehen. Das haben wir bereits heute. Es gibt ja keinen staatlichen Bereich, wo der Bürger gegenüber einer Behörde so viele private Angaben macht wie im Besteuerungsverfahren. Der Unterschied in Zukunft wird vielleicht sein, dass die Datenmenge sehr viel leichter verarbeitet und erfasst werden kann. Allein eine Erfassung in Echtzeit stellt aber nicht das Steuergeheimnis in Frage.

Sprich, Steuerpflichtige müssen dem Staat nicht noch mehr Daten preisgeben?

Steuerpflichtige müssen die Daten angeben, die für die Besteuerung relevant sind. Das müssen sie heute und das müssen sie in Zukunft. Was sich geändert hat, ist, dass der Staat heute zum Beispiel durch den internationalen Auskunftsverkehr über sehr viel mehr Daten verfügt, die der Steuerpflichtige ihm nicht selbst geliefert hat.

Sehen Sie in Zukunft noch andere Herausforderungen auf das Steuerrecht zukommen?

Die Digitalisierung ist eine der großen Herausforderungen. Wenn man sich ansieht, wie die Digitalisierung im Recht voranschreitet, dann muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass wir die Studenten technologisch fit machen müssen. Sie müssen ein Mindestmaß an Digitalisierungskompetenz mitbringen, um die zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen. Es gibt aber noch andere Fragen, wie zum Beispiel die Globalisierung und Internationalisierung und damit die Fragen der Zuteilung von Besteuerungsrechten.


Zur Person


Prof. Dr. h. c. Rudolf Mellinghoff ist seit dem 31. Oktober 2011 Präsident des Bundesfinanzhofs.


Schlagworte zum Thema:  Bundesfinanzhof (BFH), Digitalisierung