Einen Blick in die Glaskugel können Steuerkanzleien nicht werfen, trotzdem ist es jetzt ratsam, mögliche Zukunftsszenarien zu bedenken. So könnten sie aussehen.
„Ich will mich an den üblichen Spekulationen nicht beteiligen“, lautet eine gängige Formel in Talk-Shows, dabei spekulieren wir jeden Tag und sollten es auch tun. Gehört es nicht zu den besonderen Herausforderungen von Unternehmern und Gesellschaftern, ihr Unternehmen bzw. ihre Kanzlei zukunftsfähig zu machen?
In der strategischen Beratung von Kanzleien besteht eine der wiederkehrenden Kernaufgaben darin, gemeinsam mit den Equity Partnern einen Zeitsprung zu wagen und unter bestimmten Grundannahmen ein realistisches Zielbild („big picture“) der zukünftigen Kanzlei zu zeichnen. Bereits unter „Normalbedingungen“ ist das eine schwierige Übung, denn wer kann schon absehen, welcher Trend anhält oder sich gar verstärkt, wie der Markt aussehen wird, wie sich die Mandanten verhalten werden, was die entscheidenden Erfolgsfaktoren sein werden. Wieviel schwieriger ist es, in einer akuten wirtschaftlichen Krise, wie wir sie jetzt erleben, den Überblick zu bewahren und zu verlässlichen Einsichten zu gelangen.
Seit über zehn Jahren beraten wir Steuerberatungs-, Wirtschaftsprüfungs- und Rechtsanwaltsgesellschaften in strategischen Fragen. Deshalb treibt auch uns die Frage um, welche Faktoren für die künftige Entwicklung von Kanzleien erfolgskritisch sind. Wir wollen unsere Einschätzungen teilen, wohlwissend, dass es sich dabei nicht um gesicherte Erkenntnisse handelt.
Lehren aus bisherigen Krisen übertragbar?
In der Vergangenheit haben Kanzleien wirtschaftlich schwächere Perioden zumeist gut weggesteckt. Man könnte sagen, dass es sich in weiten Teilen um eine krisensichere Branche handelt. Selbst wenn die Finanz- oder Realwirtschaft schwächelt, gibt es für die meisten Kanzleien genug zu tun. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer haben ohnehin ihr laufendes Geschäft, Sonderthemen bei der Bewältigung von wirtschaftlichen Problemen der Mandanten sorgen sogar für zusätzlichen Umsatz. Der Ausfall einzelner Mandanten lässt sich zumeist verkraften, weil das Spektrum der Mandate von „Brot und Butter bis zum Hochreck“ reicht.
Kurzum: Auch in wirtschaftlich schwächeren Zeiten ging es den Kanzleien weiter gut. Wenn man dieses Szenario als Blaupause nähme, könnten wir hier mit einem optimistischen Ausblick schließen.
Lange im Gespräch, nicht neu und richtig gemacht rentierlich: Digitalisierung
Die eine oder andere Kanzlei hat es eindeutig kalt erwischt. VPN, Datensicherheit, Zugriffsrechte, Strukturen, Prozesse, Vorlagen, Templates, bis hin zur Handhabung von Video-Konferenz-Technik… Hier zeigt sich glasklar, und das dürfte zumindest den Mandanten nicht entgangen sein, die den direkten Vergleich hatten, dass eklatante Unterschiede bestehen.
Technisch nicht anschlussfähig zu sein, stellt ein Existenzrisiko dar.
Als Berater erinnern wir uns an intensive Diskussionen zu fraglos wichtigen Themen wie Gewinnverteilung, Recruiting, Karrieremodelle. Aber technisch nicht anschlussfähig zu sein, stellt ein Existenzrisiko dar. Folgerichtig dürften die Kanzleien besser durch die Krise kommen, die frühzeitig auf Digitalisierung gesetzt haben. Kanzleien, die bisher z.B. dem Thema Homeoffice kritisch gegenüberstanden („passt nicht zu unserem Stil“) und dafür technisch und organisatorisch schlicht nicht aufgestellt waren, haben jetzt massive Probleme, den Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten.
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Somit ist jetzt schon klar, dass bisher eher zurückhaltend oder gar abwehrende Einstellungen zur Digitalisierung aufbrechen werden. Die damit verbundenen durchaus erheblichen Investitionen stellen aus unserer Sicht kein echtes Hindernis dar, denn auf mittlere Sicht werden sich Investitionen an dieser Stelle klar rentieren.
Problematisch ist eher die Knappheit im Bereich der IT-Spezialisten. Nur wenige verfügen auch nur ansatzweise über Kanzleierfahrung, vielen IT-Leuten ist die Branche völlig fremd, eine Tätigkeit im Kanzleiumfeld wird als berufliche Sackgasse empfunden. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie herausfordernd es ist, IT-Schlüsselpersonal für Kanzleien zu finden.
Trend zu Zusammenschlüssen wird sich verstärken
In den letzten Jahren war eine gewisse Tendenz zur Bildung größerer Einheiten bereits erkennbar. Viele Kanzleien beschleicht das Gefühl, dass sie bei allen Erfolgen am Ende doch zu klein sein könnten, um den steigenden Erwartungen der Mandanten dauerhaft zu entsprechen und am Markt zukunftsfähig aufgestellt zu sein (Sichtbarkeit, Strahlkraft der Marke, Glaubwürdigkeit, Spezialisierungsdruck, Internationalität etc.).
Glücklich schätzen sich die Kanzleien, die jetzt aus einer Position der Stärke heraus agieren.
Zudem stellen sich Fragen nach der „optimalen Betriebsgröße“, wie wir es aus anderen Branchen kennen. Viele Kanzleien sehen sich in einem anstrengenden Spannungsfeld, weil sie für bestimmte Leistungen „zu groß sind und zu teuer produzieren“, andererseits sind sie für die Akquise besonders attraktiver Mandate aus eigener Sicht „zu klein und zu schwach aufgestellt“.
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Die Folgen davon drücken sich u.a. in dem Satz aus: „Viele Jahre vor lauter Arbeit kein Geld verdient.“ Glücklich schätzen sich die Kanzleien, die jetzt aus einer Position der Stärke heraus agieren und die Chance haben, den Markt aufzurollen.
Strategie tut Not / Nutzen einer Kanzleistrategie
„Hat die Kanzlei eine Strategie?“, eine unserer Standardfragen, häufig lautet die Antwort darauf „eigentlich schon...“ Was das für die Handlungsfähigkeit von Kanzleien unter den aktuellen Bedingungen bedeutet, sei hier nur angedeutet. Wenn die Partnerschaft kein kongruentes Bild von den strategischen Zielen der Kanzlei hat, fällt es der Kanzlei schwer, mögliche Handlungsoptionen schnell zu bewerten und strategisch folgerichtige Entscheidungen zu treffen. Es droht vielmehr die Gefahr, dass unterschiedliche Auffassungen von der strategischen Ausrichtung der Kanzlei jetzt offen und in aller Schärfe zutage treten, was bis zur vollständigen Blockade führen kann.
Kanzleien, die aktuell ausschließlich im Modus des operativen Reagierens unterwegs sind, haben ein ernsthaftes Problem.
Um jedoch überhaupt beurteilen zu können, was eine valide Option ist, welche Ziele vom Management jetzt mit welcher Priorität zu verfolgen sind, müsste die Kanzlei im Vorfeld für sich klar sortiert haben, wie sie sich am Markt positionieren will, wo sie welche Entwicklungsperspektiven sieht, wie sie sich (strategisch) gezielt verstärken kann. Kanzleien, die aktuell ausschließlich im Modus des operativen Reagierens unterwegs sind, haben ein ernsthaftes Problem.
Positiver Nebeneffekt: Gute Mitarbeiter wieder besser verfügbar
In den letzten Jahren war die Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Engpassfaktor für weiteres Wachstum. Geschäft war genug da, es fehlten die Leute. Wird das nach der Krise auch noch so sein? Geschäft wird weiter da sein, aber vermutlich wird sich die Spreu deutlicher vom Weizen trennen. Was meinen wir damit? Wache Leute reagieren sehr sensibel darauf, wie die eigene Kanzlei durch die Krise manövriert und wie sich das Umfeld entwickelt. Vermutlich wird die Bereitschaft zum Wechsel steigen.
Wenn es stimmt, dass Erfolg sexy macht, werden die Kanzleien davon profitieren, die geordnet durch die Krise steuern und gestärkt aus ihr herauskommen. Diese Kanzleien werden jetzt intensiv Ausschau nach den Einheiten halten, denen der Wind stärker ins Gesicht weht. Sie werden seit längerer Zeit identifizierte Laterals gezielt ansprechen und sich auf diese Weise Vorteile verschaffen. Kanzleien ohne eine durchdachte und abgestimmte Strategie sind auf den glücklichen Zufall und das Prinzip Hoffnung angewiesen.
Szenarien für die Zeit nach Corona
Aktuell sind Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte in mittelständischen Einheiten durchweg gut beschäftigt. Man könnte fast von einer Sonderkonjunktur sprechen. Gehen wir zuversichtlich davon aus, dass die meisten Mandanten die abgefragten Leistungen auch bezahlen können.
Die sich abzeichnende Rezession wird auch an Kanzleien nicht spurlos vorübergehen.
Aber die sich abzeichnende Rezession wird auch an Kanzleien nicht spurlos vorübergehen. Profitieren werden die Einheiten, die schon vor der Krise auf einem klaren Kurs waren und die ihre Hausaufgaben gemacht haben: Klare Strategie, moderne Infrastruktur, schlüssige Positionierung am Markt, motiviertes und talentiertes Personal. Schwierig wird es für die, die bisher durchaus erfolgreich im Strom mitgeschwommen sind. Halbherzigkeiten, Ambivalenzen, Formelkompromisse und Unentschlossenheit könnten sich nun rächen.
Über die Autoren
Alex Sieben und Joachim Klostermann, Gründungspartner von SIEBEN&PARTNER, beraten seit mehr als zehn Jahren Kanzleien zu Themen der Kanzleientwicklung.