Steuerberater sollten sich künftig als Digitalisierungsberater verstehen. Nicht nur, weil technologischer Fortschritt sowie die gesetzlichen Vorgaben an ihre Mandanten mehr digitale Kompetenzen fordern, sondern auch, weil die Digitalisierungsberatung ein lukratives Geschäftsmodell sein kann.
Im Jahr 2020 können Algorithmen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz nahezu eigenständig die Finanzbuchhaltung übernehmen. Das war ein Satz, den ich im April 2018 bei einer Veranstaltung für Steuerexperten gehört habe.
Nun neigt sich das Jahr 2020 langsam seinem Ende und ein Blick in die Steuerkanzleien Deutschlands zeigt: Noch ist die Finanzbuchhaltung nicht vollständig digitalisiert. Nicht viel hat sich im Vergleich zu 2018 verändert, zumindest nicht so viel, wie ursprünglich prognostiziert wurde.
Bedeutet das, dass wir auch die kommenden Jahre keine großen Sprünge in der Lohn- und Finanzbuchhaltung, in der Jahresabschlussherstellung, bis hin zur Steuerberatung machen werden?
Diese Frage mit Ja zu beantworten wäre falsch. Auf langfristige Sicht sollten die technologischen Möglichkeiten in diesen Bereichen nicht unterschätzt werden. Amaras Gesetz, benannt nach dem bereits verstorbenen Futuristen Roy Amara, besagt, dass Menschen dazu neigen, die kurzfristigen Auswirkungen von Technologie zu überschätzen, die langfristigen Auswirkungen aber zu unterschätzen.
Der technologische Fortschritt schreitet voran
Und die digitale Transformation ist noch lange nicht abgeschlossen. Lange hat man erforscht wie es wäre, wenn ein Computer nicht nur zwei Zustände, entweder eine [0] oder eine [1], annehmen, sondern anstatt mit „Bits“ mit sogenannten „Quanten-Bits“ (Qubits), arbeiten könnte. Während klassische Computer riesige Datenmengen, zum Beispiel Belegbilder, verarbeiten müssen, um zahllose Kombinationen zu bewerten, können Quantencomputer mit nur wenigen Qubits schwerzugängliche Eigenschaften berechnen.
Eine neue Studie der Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz zeigt, dass dies nicht mehr nur eine bloße Theorie ist:
„Logistik und Finanzwesen werden von Quantenalgorithmen profitieren, die es erlauben, sehr aufwändige Optimierungsprobleme zu lösen. […] Es ist bereits jetzt abzusehen, dass auf Quantentechnologien basierende Verfahren des Maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz zu Fortschritten bei der Lösung von Optimierungsproblemen und Gleichungssystemen, Simulationen und Kryptografie führen werden.“
Bereits nächstes Jahr will die Fraunhofer-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit IBM einen Quantencomputer mit ebendiesem Bezug auf Quantum Machine Learning und Künstliche Intelligenz im baden-württembergischen Ehingen in Betrieb nehmen. Als ersten Quantencomputer dieser Art in Europa.
Gesetzliche Vorgaben zwingen Unternehmen in die Digitalisierung
Doch ohne Daten werden die Algorithmen auch künftig nicht arbeiten können. Der Staat macht es vor: Ab dem 27. November 2020 sind Lieferanten, die als Auftragnehmer für den Bund und seine Behörden tätig sind, bis auf wenige Ausnahmen, zum Versand elektronischer Rechnungen (im Format der „XRechnung“) verpflichtet.
Durch den technologischen Fortschritt als auch durch die gesetzlichen Vorgaben ist die Steuerberatungsbranche künftig also insbesondere in der Begleitung von Digitalisierungsprozessen bei ihren Mandanten gefordert.
Ohne Daten geht nichts
Einen Trend hin zu einer anderen Art von Beratung lässt sich jetzt schon in der Branche erkennen: Im Jahr 2018 hat der Umsatzanteil der Vereinbaren Tätigkeiten laut STAX in Sozietäten und Steuerberatungsgesellschaften erstmals über 10 % des Gesamtumsatzes betragen. In Einzelkanzleien betrug der Anteil 2018 immerhin bereits 6,6 % und somit fast das Dreifache im Vergleich zum Jahr 2012.
Die Vereinbaren Tätigkeiten verdrängen langsam, aber stetig die Steuerberatenden Tätigkeiten.
Es wäre falsch zu denken, dass die Vereinbaren Tätigkeiten überwiegend keine Digitalisierungsberatungen darstellen, da es sich beispielweise um Finanzierungsberatung, Vermögensberatung oder Betriebswirtschaftliche Beratung handelt. Denn künftig werden diese Beratungen datengetrieben sein. Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz werden an den Punkt kommen, an dem Aufgaben von einem (Quanten-) Computer übernommen werden können.
Aber Sie als Steuerberater*in haben ein nicht zu unterschätzendes Asset: Die Daten Ihrer Mandanten.
Schon jetzt möchten Ihre Mandanten, dass Sie Daten aus verschiedensten Fremdsystemen, wie elektronischen Registrierkassen, Online- und Buchhaltungsplattformen, übernehmen. Ihre Mandanten liefern Ihnen unentgeltlich ihre Daten (oder bezahlen Sie gar dafür) – und Sie können diese künftig in noch nie dagewesener Weise auswerten und gewinnbringend nutzen.
Hierfür erfordert es passende IT-Prozesse zwischen Ihren Mandaten und Ihrer Kanzlei, sowie geschultes Personal. Die Bundessteuerberaterkammer hat nun angekündigt den Fachassistenten „Digitalisierung und IT-Prozesse“ (FAIT) zur Fortbildung der Mitarbeiter einzuführen. Die ersten Prüfungen starten im März 2022.
Aber auch Steuerberater*innen sollten sich künftig als Digitalisierungsberater*innen verstehen. Die Welt dreht sich. Oder wie Bundeskanzlerin Angela Merkel 2019 bei einer Rede an der Harvard Universität sagte: „Was festgefügt und unveränderlich scheint, das kann sich ändern.“