Fehlende Digitalisierung in der Steuerverwaltung

Die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens und der Wirtschaft. Dennoch bleibt die Steuerverwaltung in vielen Ländern, insbesondere in Deutschland, hinter den Erwartungen zurück. Eine solche Rückständigkeit hat weitreichende Folgen, insbesondere für Steuerberater, die als Bindeglied zwischen Steuerpflichtigen und Finanzämtern fungieren.

Die Steuerverwaltung umfasst eine Vielzahl von Prozessen und Regelungen, die oft über Jahre gewachsen sind und aufwändig unter allen beteiligten Ländern abgestimmt wurden. Die Integration moderner digitaler Lösungen in bestehende Systeme ist technisch sehr anspruchsvoll und zeitaufwendig. Zudem sind Steuerdaten besonders sensibel und die Sicherstellung ihrer Vertraulichkeit und Integrität ist bei allen Erwägungen stets von größter Bedeutung. Die Implementierung unterliegt strengen regulatorischen Anforderungen. Hinzu kommen der Datenschutz und entsprechende Hürden bei der für die Digitalisierung notwendigen Vernetzung der Daten. Das Steuerrecht ist häufig komplex und ändert sich regelmäßig. Dies erfordert somit flexible und anpassungsfähige digitale Lösungen.

Zu allen diesen herausfordernden Bedingungen kommt erschwerend hinzu, dass der öffentliche Sektor insgesamt Schwierigkeiten hat, geeignete IT-Fachkräfte zu rekrutieren und schließlich auch zu halten, die für solch eine Planung und Umsetzung von Digitalisierungsprojekten notwendig sind. Im Vergleich mit der Privatwirtschaft sind die Gehalts- und Besoldungsstrukturen trotz Zulagemöglichkeiten nur bedingt konkurrenzfähig. Doch genau dieser Personenkreis ist entscheidend für technische Innovationen und die langfristige und  grundsätzliche Funktionsfähigkeit der Finanzverwaltung.

Digitalisierung gibt es nicht zum Nulltarif und im Akkord

In Zeiten „klammer Kassen“ werden diverse Haushaltsansätze vom Gesetzgeber gekürzt, wodurch sich auch weniger Mittel für die Umsetzung von Transformationsprozessen ergibt. Gewiss lassen sich einzelne Prozesse im Rahmen der Kerntätigkeit kostenneutral umstellen bzw. optimieren. Für eine effektive digitale Transformation, die mit der Privatwirtschaft mithalten kann, sind mehr finanzielle Mittel für Technologie und Personal nötig. Vor allem aber braucht es mehr freie Zeit. Dies betrifft beispielsweise eine umfangreiche Erprobung von Einsatzmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz (KI), eine noch bessere Ausgestaltung von Kommunikationswegen, die Evaluierung und Optimierung von Verwaltungsverfahren (z.B. digitalere Betriebsprüfungen und intelligentere Risikofilter, vernetztere Datenstrukturen) sowie die Befähigung des Personals im Sinne eines „digitalen Mindsets“. Investitionen allein werden nicht ausreichen, weil es zwingend auch eines proaktiven Handelns der Entscheidungsträger sowie der Mitnahme sämtlicher Bedientester bedarf.

Wenn der Verwaltung jedoch keinerlei finanzielle Mittel für Fortschritte in der Digitalisierung zur Verfügung stehen, stoßen auch Steuerberater an ihre Grenzen. Denn mag die eigene Kanzlei noch so digital und automatisiert sein, scheitern die Workflows an der Steuerverwaltung, da eine funktionierende technische Infrastruktur sowie Schnittstellen fehlen, bestimmte Formate nicht angenommen werden, Medienbrüche zu Mehrarbeit führen, Datenströme und -vernetzungen gar nicht existieren oder gar das menschliche Gegenüber die IT-Verfahren nicht beherrscht.

Föderalismus als deutscher „Hemmschuh“

Das KONSENS-Programm hat zwar erfolgreich die IT-Strukturen der 17 deutschen Steuerverwaltungen harmonisiert, jedoch stellt das IT-Anforderungsmanagement weiterhin eine große Herausforderung dar. Aufgrund der vielen Entscheidungsträger ist eine schnelle und effektive Umsetzung von IT-Anpassungen schwer realisierbar. Die Kapazitäten sind durch langfristige Projekte gebunden, was die Entwicklung einer Innovations- oder Testkultur behindert. Zudem erfordert die Zuständigkeit der Länder für die Finanzverwaltung, dass die politischen Führungen und obersten Landesbehörden eine klare strategische Vision für die Digitalisierung formulieren. Ohne eindeutige Ziele und koordinierte Umsetzung bleiben IT-Projekte oft hinter den Erwartungen zurück oder geraten ins Stocken.

Als positiv sind die Bemühungen des Bundeslandes Hessen hervorzuheben, deren Verantwortliche an diversen Stellen eigene Akzente setzen. Dennoch scheint dies die übrigen Bundesländer nahezu unbeeindruckt zu lassen. Stattdessen bleibt es bei Insellösungen einzelner Bundesländer wie es die Entwicklung der Steuer-Clouds bis heute zeigt. Anstelle einer einheitlichen Cloud für alle 17 Steuerverwaltungen dürfen sich Steuerberater je nach Bundesland zum Beispiel für die SteuerCloud@BW, FinDrive-HH/MV/NRW/SH, HessenDrive oder SiDaS entscheiden. Einige von ihnen haben bis heute noch keine Clouds für den Datenaustausch. Ist es der Stolz über ein eigenes Landes- IT-Produkt oder werden schlichtweg falsche Prioritäten gesetzt, wenn im Föderalismus nicht einmal hier die Zusammenarbeit unter den Finanzverwaltungen zu einem gemeinsamen Angebot führt?

Festhalten am „Millionengrab“ der Steuer-IT

Hinsichtlich der gemeinsamen IT-Kooperation der Länder innerhalb von KONSENS gab es diverse Kritik von Seiten des Bundesrechnungshofes, der zuletzt vor allem auf eine wirksame Erfolgskontrolle und bessere Gesamtsteuerung drängte. Das derzeitige IT-Anforderungs- und Steuerungsmanagements ist mit 17 Entscheidungsträgern und der komplexen Struktur aus Auftraggeber- und Auftragnehmerländern signifikant eingeschränkt. Die Kooperationen im Bereich der Steuer-IT haben bereits erhebliche Summen Steuergeld verschlungen – auch KONSENS ist angesichts der Ineffektivität und langen Entwicklungsdauern mittlerweile ein „Millionengrab“. Eine Neuausrichtung im Sinne zentral organisierter IT-Strukturen, wie sie bei der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung Bund zu finden sind, würde klare Vorteile bringen. Das Grundgesetz jedenfalls ließe eine Übertragung sämtlicher Digitalkompetenzen im Bereich der Steuerverwaltung an den Bund zu, wodurch die Attraktivität für potenzielles IT-Personal steigen und die notwendigen finanziellen Mittel für eine zielgerichtetere Digitalisierung besser aufgebracht werden könnten. Von solch einem einheitlichen Vorgehen profitieren indirekt dann auch Steuerberater und Steuerpflichtige.

Starre Behördenstrukturen und „Silo-Denkweise“

Öffentliche Verwaltungen sind häufig von bürokratischen, starren Strukturen und langsamen Prozessen geprägt, die digitalen Anpassungen und Innovationen möglicherweise entgegenstehen. Entscheidungsfindungen können so sehr langwierig sein, was die Umsetzung digitaler Projekte aus der politischen Ebene an der Basis stark verzögert. Hinzu tritt die dadurch begünstigte „Silo-Denkweise“ zum eigenen Zuständigkeitsbereich bei den Beschäftigten, sodass besonders in Vertretungsfällen enorme Bearbeitungsrückstände entstehen. Dahingehend stellt sich zum Beispiel die Frage, warum Unternehmen heute immer noch neue Steuernummern erhalten und ganze Briefköpfe bzw. Stammdaten ändern müssen, nur weil sie in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts gelangen. Wäre es nicht längst an der Zeit, übergreifende Identifikationsmerkmale zu nutzen und Steuerfälle in den Finanzämtern flexibler bearbeiten zu lassen?

Eine flexible, effiziente und mehrwertstiftende Aufgabenerfüllung gegenüber Bürgern bzw. Steuerpflichtigen wird derzeit strukturell nicht begünstigt. In Zeiten multipler Krisensituationen und interruptiven Veränderungen in der Privatwirtschaft wirken solche Verwaltungsprozesse und -strukturen unangemessen und kontraproduktiv. Für eine optimale Zusammenarbeit sind agile Konzepte erforderlich, die sich an den Bedürfnissen der Steuerpflichtigen und Wirtschaft ausrichten und nicht nur deren „Verwaltung“ in den Mittelpunkt stellen. Zudem verfügen viele Beschäftigte der Finanzverwaltung z.B. über nützliche Steuer- und Wirtschaftskenntnisse. Ein Austausch könnte insoweit für beide Seiten kompetenzfördernd sein. In dieser Hinsicht hatte Österreich während der Corona-Pandemie sogar eine Art Wirtschaftsförderung bei der Finanzverwaltung angesiedelt (siehe hierzu: COFAG). Möglicherweise könnte so die eher negativ behaftete hoheitliche Eingriffsverwaltung über eine neue Facette des partnerschaftlichen Akteurs weiterentwickelt werden.

Spürbarer Zwang durch Veränderungsdruck

Tendenziell verfallen die Landesfinanzverwaltungen in eine eher abwartende Haltung, was den Einsatz und die Weiterentwicklung digitaler Lösungen betrifft. Dies ist einerseits der Kooperation KONSENS und andererseits aber auch der Tatsache geschuldet, dass zusätzliche digitale Initiativen über eigene Haushaltsgelder finanziert werden müssten. Viel zu lange wurde in einigen Bundesländern nur das implementiert, was unbedingt sein musste. Doch der Veränderungsdruck aus der Privatwirtschaft sowie diverse Gesetzgebungsinitiativen führten in den vergangenen Jahren zu einem Anstieg der Aufträge an KONSENS und die Landesrechenzentren. Infolgedessen entstand ein enormer Nachholbedarf: die Anzahl der Rollouts neuer Programme und Updates nimmt zu, Prozesse müssen neu geordnet und analoge Dokumente digitalisiert werden (Stichwort: elektronische Akte). Wenn es jedoch einen grundsätzlichen Rückstau im Bereich der unbedingt notwendigen IT gibt, bleibt wenig Raum für weitere innovative Digitalprojekte. So gestalten sich aktuell vor allem auch die Auslesbarkeit der Dokumente und der Einsatz von KI noch schwierig.

An einem etablierten, effektiven Change-Management in den Ämtern und positiven Anreizfaktoren scheint es zudem zu fehlen, obwohl Mitarbeiter umgeschult werden müssen, belegbare Mehranstrengungen anstehen und möglicherweise sogar die Sorge vor Arbeitsplatzverlusten durch Automatisierung besteht. Gelingt es nicht, jene Menschen auf die digitale Reise mitzunehmen, könnte dies für die Steuerpflichtigen und Berater anhand eines veränderten Klimas der Zusammenarbeit, an längeren Bearbeitungszeiten wegen Personalausfällen oder an einer gestiegenen Fehlerquote spürbar werden. Ein effizienter und zuverlässiger Bearbeitungsprozess seitens der Steuerverwaltung ist jedoch entscheidend, um korrekte Steuerbescheide zu erhalten sowie spezifische steuerliche Fragen oder Unklarheiten direkt mit der Finanzverwaltung klären zu können. Daneben sind Bedienstete der Steuerverwaltung auch eine wichtige Quelle für Änderungen im Steuerrecht und deren Interpretation durch die Finanzbehörden. Eine ineffiziente Zusammenarbeit impliziert gleichzeitig höhere Kosten, die möglicherweise an die Mandanten weitergereicht werden. Beispielsweise fehlt die Zeit für wertschöpfende Beratungsleistungen, wenn viele Schritte manuell erledigt werden müssen. Im Weiteren könnte dies dann auch die Wettbewerbsfähigkeit der Steuerberater beeinträchtigen und deren Marktstellung im Vergleich zu anderen Berufsgruppen schwächen.

Fehlende Transparenz und Kommunikation

Ohne digitale Systeme fehlt es an einer klaren Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Bearbeitungsstände. Steuerpflichtige und ihre Berater haben häufig keine Möglichkeit, den konkreten Fortschritt von Verfahren in Echtzeit zu verfolgen. Eine erfolgreiche Digitalisierung könnte beispielsweise die Bearbeitungs-Timeline online in einem geschützten Bereich (z.B. über Elster) visualisieren. Aber auch ein virtuelles Steuerkonto, in dem sämtliche Arbeitsfortschritte, Vorauszahlungs- und Voranmeldungsstände, Steuerbeträge nach Ein- und Auszahlungen und moderne Zahlungsmethoden zur Verfügung stünden, wären eine echte Erleichterung für die aufwändigen, meist telefonischen Abstimmungsprozesse. Zugleich könnte eine einheitliche Datenbasis auch die Fehlerquote auf beiden Seiten reduzieren.

Die Kommunikation zwischen Steuerberatern, Steuerpflichtigen und Finanzämtern ist mitunter umständlich und langsam, da sie bis heute multimodal, aber noch immer auf Briefpost und unzureichend gesicherten E-Mail-Verkehr angewiesen ist. Unlängst verdeutlichte die Diskussion über das Gesetzgebungsvorhaben im Sinne der Finanzverwaltung zur Beschränkung der Kommunikationskanäle die bestehende Misere. Konkret sollten das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) und das besondere Steuerberaterpostfach (beSt) nicht mehr als Kommunikationskanal zugelassen sein, um die Medienströme innerhalb der Verwaltung besser kanalisieren zu können. Auf Drängen des Bundesrates, also deutlich im Sinne der Landesfinanzverwaltungen, wurde trotz umfangreicher Kritik an dem Gesetzesvorhaben festgehalten. Die Finanzverwaltungen suchen mitweilen nach den für sie optimalen Zugangswegen und scheuen sich auch nicht, die Beraterschaft zu bestimmten Übermittlungswegen zu drängen (u.a. Abschaltung von Fax-Verbindungen oder Wegfall von persönlichen Durchwahlnummern). Dennoch kann sich die Verwaltung gegenüber der Weiterentwicklung moderner Kommunikationsmedien und -wege nicht verschließen. Vielmehr darf sogar erwartet werden, dass ein funktionsfähiger Staat auch technisch Schritt hält. Denn in einer zunehmend digitalisierten Welt stehen Steuerberater unter Druck, sich anzupassen und ihren Mandanten zeitgemäße Lösungen anbieten zu müssen. Die mangelnde Digitalisierung der Steuerverwaltung würde es ihnen dann erschweren, solchen Erwartungen gerecht zu werden.

Überlastung sorgt für mangelnde Steuerrechtspflege

Obwohl ein enormes Potenzial zur Automatisierung von Assistenz- und Routinetätigkeiten besteht, um auch Beschäftigte in der Steuerverwaltung entsprechend entlasten zu können, führt die schleppende digitale Transformation bei gleichzeitig immer größer werdenden personellen Engpässen (z.B. wegen geplanter und ungeplanter Personalabgänge oder mangelnden Neueintritten) zu einer kontinuierlich hohen Arbeitsbelastung des Bestandspersonals. Hierdurch fehlt oftmals die Zeit für komplexere Steuerfälle, bei denen eine sorgfältige rechtliche Würdigung unabdingbar ist. Die damit eigentlich verbundenen Auslegungsstreitigkeiten, Entscheidungsbegründungen sowie in Folge auch die inhaltlichen Auseinandersetzungen braucht es aber, damit Steuerberater ihrer Funktion als unabhängiges Organ der Steuerrechtspflege (vgl. § 32 Absatz 2 Satz 1 StBerG) zeitnah nachkommen können. Insoweit tritt bei längeren Bearbeitungszeiten zumindest auch ein Verzug in der Steuerrechtspflege ein

Fazit

Probleme bei der digitalen Transformation innerhalb der Steuerverwaltung haben direkte und indirekte Auswirkungen auf die Qualität und Effizienz der Zusammenarbeit. Eine gut funktionierende digitale Steuerverwaltung ist deshalb für die Beraterschaft unverzichtbar. Sie trägt u.a. zur Optimierung der eigenen Kanzleiabläufe, zur Vermeidung von arbeitstäglichen Zusatzbelastungen bzw. zur schnelleren Aufgabenerledigung, persönlichen Weiterbildung und zur notwendigen Rechtspflege im Steuerrecht bei.


Über den Autor

Prof. Dr. Daniel Simon Schaebs, ist Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen und unterrichtet und forscht unter anderem zu Public Management, Organisationslehre und Steuerrecht. Hier schreibt er in nicht dienstlicher Eigenschaft.


Schlagworte zum Thema:  Finanzverwaltung, Digitalisierung, Steuerberatung