Nicht wenige fürchten derzeit einen Insolvenzstau innerhalb der deutschen Wirtschaft, der sich in den kommenden Monaten Bahn brechen könnte. Tatsächlich sind durch die Anpassung der Insolvenzordnung, aber auch durch Hilfsmaßnahmen Risiken entstanden, die auch Steuerberater*innen Sorgen bereiten. Eine Einschätzung von Steuerberater Carsten Nicklaus aus Krefeld.
Herr Nicklaus, wie groß ist die Insolvenzgefahr tatsächlich?
StB Carsten Nicklaus: Insolvenzen gehören zur Wirtschaft generell einfach einmal dazu; Unternehmen scheiden aus, andere kommen hinzu. Durch die Corona-Pandemie aber erlebten die Betriebe einige sehr empfindliche Schocks, insbesondere einen Nachfrageschock, der sowohl ganze Branchen betrifft als auch die Wirtschaft generell durch eine sinkende Kaufkraft und schwindende Investitionen. Insofern sehe ich durchaus die Gefahr einer Abwärtsspirale, die nach außen getragen schnell eine Self-Fullfilling-Prophecy werden kann.
Wie schätzen Sie die volkswirtschaftliche Lage ein?
Die deutsche Wirtschaft zeigte ja bereits in 2018 und 2019 ein abgeschwächtes Wachstum. Für 2020 erwarte ich ein negatives „Wachstum“ der Wirtschaftsleistung. Und wenn keine externen positiven Impulse kommen, landet man in einer Wirtschaftskrise. Ich sehe die getroffenen Einschränkungen für die Unternehmen und die Bevölkerung wegen der Corona-Krise sehr kritisch. Man sollte das Problem bei der Wurzel packen und sich folgende Frage stellen: Was kann man tun, um der Wirtschaft ihre Fesseln wieder zu nehmen und die nötigen Impulse zu geben? Das ist für mich die alles entscheidende Frage.
Sehen Sie als Berater Maßnahmen, der Malaise zu begegnen?
Die individuell rationale Empfehlung könnte sein, die laufenden Kosten zu reduzieren und wenn möglich Rücklagen zu bilden. Das gilt im Privaten wie im Betrieblichen. Unternehmen sollten ihre Kostenstrukturen analysieren und diese an sinkende Umsätze anpassen. Dabei gilt es Fixkosten zu reduzieren. Leasing- oder Finanzierungsraten stellen in schwierigen Zeiten eine Last dar. Es droht unter Umständen eine Zahlungsunfähigkeit, wenn diese nicht mehr bedient werden können. Dabei gilt freilich: Was für den einzelnen im Moment richtig ist, schadet der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Wenn jeder sein Geld in der Tasche hält, stockt die Wirtschaft erst recht.
Und auf der Ertragsseite?
Die Unternehmen müssen ihre Potenziale nutzen und kreativ nach neuen Erlösquellen suchen. So wie im Frühjahr zum Beispiel ein Mandant aus der Eventbranche mit dem Handel von Desinfektionsmitteln und Masken Geschäft generiert hatte. Für die Mutigen und Kreativen gibt es immer Chancen.
Steuerberater sollten ihre Mandanten jedoch nicht nur im Hinblick auf die Hilfen beraten, sondern sie auch strategisch unterstützen.
Was müssen Berater*innen Ihrer Meinung nach jetzt unbedingt tun?
Notleidenden Unternehmen sollten wir unbedingt durch unser Fachwissen helfen. Vorrangig natürlich auch um an den staatlichen Hilfsprogramme teilnehmen zu können. Bei den Überbrückungshilfen geht es nicht mehr ohne einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt. Dabei sollten wir auch an die bisher nicht steuerlich beratenen Unternehmer denken.
Steuerberater sollten ihre Mandanten jedoch nicht nur im Hinblick auf die Hilfen beraten, sondern sie auch strategisch unterstützen. Gibt es zum Beispiel unrentable Standorte oder Geschäftsmodelle, die man besser nicht mit durch die vielleicht kommende, schwierige Zeit schleppt? Lassen sich daraus vielleicht Mittel generieren, um Ersatzinvestitionen zu tätigen? Wer noch Spielraum mit oder ohne Hilfen hat, sollte durch Investitionen den Konjunkturmotor am Laufen halten.
Beraterinnen und Berater sollten aktiv betriebswirtschaftliche Beratung anbieten. Dazu können eine Vielzahl von Beratungsfeldern gehören, unter anderem der Aufbau der Grundlagen der Unternehmenssteuerung anhand von Kennzahlen aus der Buchhaltung, die Jahresabschlussanalyse, Branchenvergleiche, Unternehmensnachfolge, der Aufbau einer Notfallplanung und eine Finanz- und Liquiditätsplanung. Zu jeder Planung gehört aber auch, in regelmäßigen Abständen einen Soll-/Ist-Vergleich anzustellen, um sie dynamisch zu gestalten.
Wo sehen Sie im Moment die wichtigsten Punkte, die einer Insolvenz entgegen wirken können?
Erstens konsequente Entscheidungen bei den Kosten treffen, zweitens eine gute Vorbereitung auf das nächste Bankgespräch und drittens Exitstrategien mit oder besser ohne Insolvenz entwickeln. Betriebe sollten in Erwägung ziehen, freiwillig die Notbremse zu ziehen und den Betrieb kontrolliert zurückfahren, statt sich dem Risiko auszusetzen, dass im Falle einer Insolvenz auch das Privatvermögen betroffen ist.
Außerdem zieht eine Insolvenz häufig weitere nach sich...
Genau, das ist auch die große Gefahr des gesetzlichen Aufschubs der Insolvenzantragspflicht. Der Ausfall von Forderungen eines insolventen Kunden, die ein gesundes Unternehmen hat, kann dieses gesunde Unternehmen selbst in große Schwierigkeiten – vielleicht sogar in die Insolvenz treiben.
Wie steht es um das Bewusstsein der Mandant*innen?
Unternehmens-Krisen entstehen in der Regel nicht von heute auf morgen. Es beginnt meist mit der Strategiekrise, die in eine Ertragskrise übergeht. Zu diesem Zeitpunkt ist meist die Handlungsfähigkeit noch hoch und die Not zu handeln noch überschaubar. Hier gilt es jedoch zu handeln. Befindet sich das Unternehmen erst einmal in der Liquiditätskrise ist die Handlungsfähigkeit meist sehr gering und die Not extrem groß.
Bei unseren Mandanten erleben wir die gesamte Bandbreite von sehr besorgten Mandanten, die tatsächlich - aber häufig unnötig - um ihre Existenz bangen und in der Folge den Kopf in den Sand stecken. Dann gibt es die Gruppe derjenigen, die tun und machen und wirbeln wie verrückt, da sie wirklich vor dem Aus stehen. Manche haben gerade viel investiert und sehen sich quasi einem Berufsverbot ausgesetzt. Diese Unternehmer*innen sind finanziell am Ende und können nur noch mit Mühe überhaupt klar denken.
Und diejenigen, die konstruktiv mit der Lage umgehen...
Die gibt es auch! Sie werden kreativ und bieten das an, was gerade nachgefragt ist. Das klappt auch nicht immer, aber doch in vielen Fällen. Daneben gibt es noch die Gründer*innen, die erst einmal alles zurückfahren, sich einen anderen Broterwerb suchen und abwarten, um dann voll durchzustarten, wenn die Krise vorbei ist.
Sehen Sie auch Teile der Unternehmen, die durch die Krise eher profitieren?
Die großen Gewinner sind meines Erachtens Teile der Pharmafirmen, Medizin-Labore, die Onlinebranche und … die Baumärkte (lacht). Freunde von mir waren während des ersten Lockdowns fast täglich im Baumarkt, weil dies das einzige war, was sie als Zeitvertreib machen wollten.
Wie verhalten sich die Banken in der momentanen Situation?
Eigentlich sehr kooperativ, was wir so mitbekommen. Kredite werden einfacher und unbürokratischer bewilligt. Allerdings verzichten viele unserer Mandanten vorerst auf die Inanspruchnahme von Darlehen - auch wenn sie günstig sind. Denn irgendwann müssen sie ja auch zurückgezahlt werden.
Was erwarten Sie für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung?
Wenn sich große Teile der Beschäftigten in Kurzarbeit befinden, bezahlen sie weniger Steuern und Sozialabgaben, wenn Unternehmen keine Gewinne erwirtschaften, zahlen sie keine Steuern. Gleichzeitig steigen unsere Ausgaben massiv an. Da stellt sich mir die Frage, wie lange ein System dies durchhalten kann. Und das Problem ist ja nicht nur ein nationales: Schauen Sie nur auf die Länder wie Spanien, Italien oder natürlich Griechenland. Die sind schon vorher scharf an der Kante gesegelt. Wir müssen uns vermutlich auf sehr harte Zeiten einstellen.
Zur Person
Carsten Nicklaus ist Partner der Steuerkanzlei Dr. Dreist & Nicklaus in Krefeld sowie Gesellschafter-Geschäftsführer der Dreist Audit GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.