Wer sich im digitalen Transformationsprozess nicht ständig neu erfindet, läuft Gefahr verdrängt zu werden. Für Steuerkanzleien bedeutet das nicht nur die Offenheit gegenüber neuen Technologien und Trends. Die Steuerkanzlei 4.0 bricht auch starre Strukturen auf.
Warum eine neue Führungskultur notwendig ist
Der autoritäre Führungsstil ist auch in deutschen Steuerkanzleien noch weit verbreitet: Der Kanzleiinhaber beziehungsweise die Führungskraft trifft Entscheidungen, legt Ziele fest, verteilt Aufgaben, leitet an und übt notfalls Druck aus. Solange die Führungskraft das Vertrauen der Mitarbeiter genießt und von ihnen anerkannt wird, kann dies durchaus Vorteile haben. Die Freiräume für die Mitarbeiter sind bei diesem klassischen System der Weisung und Kontrolle allerdings gering. Doch gerade die sind angesichts der anstehenden Herausforderungen und Chancen für Steuerkanzleien gefragt. Schließlich gilt es, im Wettbewerb um die besten Kanzleileistungen und Mitarbeiter, die Weichen rechtzeitig zu stellen.
Die Steuerberatung auf dem Weg von der Produkt- zur Mandantenzentrierung
Im Zuge der Digitalisierung ist das Berufsbild des Steuerberaters im Wandel. Während mehr und mehr repetitive Tätigkeiten im Bereich der Finanz- oder Lohnbuchhaltung automatisiert erfolgen, rückt die eigentliche Beratungsleistung weiter in den Fokus: weg vom Verwalter hin zum Sparring-Partner für den Mandanten. Das Know-how des einzelnen Steuerberaters wird dabei mehr denn je gebraucht, kann aber angesichts der Komplexität und Individualität der anfallenden Aufgaben alleine nicht mehr ausreichen.
In der digitalen Kanzlei vernetzen sich Fachkräfte mit vielfältigem Wissen on- und offline.
So ist das kollaborative Arbeiten in Teams aus internen und externen Wissensträgern zentral, um Synergieeffekte zu fördern und neue Geschäftsfelder zu erschließen. In der digitalen Kanzlei vernetzen sich Fachkräfte mit vielfältigem Wissen on- und offline und finden sich zu kurzfristigen Projektteams zusammen, die sich im permanenten Auf- und Umbau befinden. Dabei greifen sie auf wechselnde Tools und Methoden zurück.
Für die Führungskräfte einer Steuerkanzlei bedeutet das eine neue Rolle: Eine diverse Gruppe aus Fachkräften muss so begleitet werden, dass ein funktionierendes Team mit konstruktiver Gruppendynamik entsteht und zur Selbststeuerung befähigt wird. Während starre Anweisungen und Kontrollen einem ergebnisoffeneren Prozess weichen, nimmt der Anteil an Kommunikation zu und die Eigenverantwortung des Einzelnen wird erhöht.
Status quo: Fehlende Freiräume für Innovation und junge Talente
Es ist leicht begreiflich, dass „Dienst nach Vorschrift“ nicht zur innovativen Unternehmensberatung führen kann. Auf dem Weg zur erfolgreichen Beratungskanzlei braucht es daher hoch motivierte Fachkräfte, die sich gezielt austauschen, Gegebenes hinterfragen und ständig dazuzulernen. Wer die Arbeit in klassischen Top-Down-Systemen gewohnt ist, muss dazu aber erst befähigt werden. Zusätzlich müssen mit Blick auf die Zukunft junge Talente für die eigene Steuerkanzlei begeistert werden.
Gestaltungsspielräume und Mitspracherechte für den Einzelnen müssen geschaffen werden. Sonst wird eine autoritäre Führungskultur auch im „War for Talents“ zum Hindernis.
Die nachwachsende Generation fordert von ihren Arbeitgebern allerdings nicht nur Flexibilität, was die Arbeitszeit, den Arbeitsort und die Aufgaben angeht. Auch eine offene Arbeitskultur gehört zu ihrem Selbstverständnis. Das bedeutet: Gestaltungsspielräume und Mitspracherechte für den Einzelnen müssen geschaffen werden. Sonst wird eine autoritäre Führungskultur auch im „War for Talents“ zum Hindernis.
Starre Top-Down-Strukturen bremsen die Steuerkanzlei
Wo nicht mehr produktzentriert abgearbeitet, sondern kundenzentriert beraten werden soll, gilt: Agilität ist von Vorteil. Starre Prozesse funktionieren zwar dort, wo vorgegebene Arbeitsläufe in der Buchhaltung oder im Controlling nur einen begrenzten Umsetzungsspielraum erfordern. Die ganzheitliche Beratung eines Mandanten in der VUCA-Welt ist dagegen schwer im Voraus planbar. Hier bieten sich die flexiblen Prozesse von Scrum, Design Thinking und anderen agilen Methoden an. Denn sie ermöglichen kurzfristige Reaktionen auf veränderte Bedingungen. Sie stellen aber auch spezielle Anforderungen an Führung. Wo sie unvorbereitet auf klassische Top-Down-Strukturen treffen, kommt es schnell zu Problemen.
Wie moderne Führung stattdessen funktioniert
Damit Führung zukünftig erfolgreich sein kann, muss sie an die verschiedenen Aspekte der Transformation anknüpfen. Während Aufgaben des Kanzleimanagements abgegeben werden, erhält sie einen stärker visionären und strategischen Fokus. Ein Beharren auf rein autoritäre Systeme wird sich auf lange Sicht keine Steuerkanzlei leisten können. Wer sich dagegen frühzeitig neupositioniert, kann den Wandel auf verschiedensten Ebenen nutzen und zum Vorreiter werden. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden: New Leadership kann nicht alleine stehen. Damit eine neue Führungskultur ihre volle Wirkung zeigt, muss sie Hand in Hand gehen mit einer neuen Unternehmenskultur.
Empowerment als Antrieb für die agile Kanzleiorganisation
Mit agilen Methoden können Steuerkanzleien auf komplexe Anforderungen reagieren und auch dann den Überblick und die Kontrolle behalten, wenn eine starre Projektplanung im Voraus nicht möglich ist. Sie stellen dem Projektteam einen Rahmen zur Verfügung, der einerseits klare Richtlinien, Rollen und Rituale zur Orientierung und andererseits Spielraum für eine individuelle Ausgestaltung und stetige Optimierung bietet. In kurzen, regelmäßigen Standup-Meetings werden beispielsweise aktuelle Projektstände kommuniziert, die unkompliziert auch kurzfristige Nachbesserungen umsetzbar machen.
Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung wird auf die einzelnen Teammitglieder verlagert.
Gleichzeitig brechen die agilen Methoden hierarchische Strukturen auf, in denen die Führungskraft die alleinige Verantwortung trägt. Die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung wird auf die einzelnen Teammitglieder verlagert. Die Folgen: Jeder Spezialist kann sich intensiv auf seine Kernaufgabe konzentrieren und muss nicht für alles eine konkrete Weisung einholen. Der Führungskraft bleibt mehr Zeit, sich auf die strategischen Herausforderungen des Kanzleimanagements zu konzentrieren.
Die Führungskraft als „Coach“ für die Mitarbeiter
Das notwendige Empowerment funktioniert allerdings nicht von selbst: Um die Mitarbeiter zu befähigen, in einer agilen Arbeitswelt selbst Verantwortung zu tragen und Mandanten eigenständig, innovativ und kreativ zu beraten, müssen die Führungskräfte die zentrale Rolle des „Lenkers“ und „Machers“ verlassen und die Rolle eines „Coaches“, „Mentors“ oder „Moderators“ einnehmen. Das heißt: Prozesse werden nicht mehr geleitet, sondern begleitet. Die Führungskraft stellt die richtigen Mitarbeiter zu funktionierenden Teams zusammen und ermöglicht effiziente Zusammenarbeit durch passende Infrastrukturen. Eine offene Fehler- und Feedbackkultur gibt Raum und Sicherheit für Kreativität und Innovation. Dazu werden gezielt Kompetenzen gefördert und den Mitarbeitern individuelle Spielräume und Möglichkeiten aufgezeigt.
Offene Unternehmenskultur in der innovativen Steuerkanzlei
Die neue Führungskultur bedeutet keinesfalls, dass die Führungskraft ihre formale Stellung verliert oder für den Erfolg der Steuerkanzlei weniger wichtig ist. Im Gegenteil: Sie ist als Vorbild ein zentraler Faktor für die Akzeptanz, Zuversicht und Leistung der Mitarbeiter.
Im selben Maße wie die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter wichtiger wird, rücken soziale Kompetenzen wie Empathie und Einfühlungsvermögen in den Mittelpunkt. Die Führungskraft muss authentisch und glaubwürdig sein, damit sich der Mitarbeiter mit den durch sie gespiegelten Unternehmenswerten identifizieren kann. Im besten Fall ist sie der Motor einer neuen Unternehmenskultur, die durch Sinnstiftung, Wertschätzung und Vertrauen geprägt ist. So fördert sie nicht nur selbstbestimmtes Arbeiten, sondern auch ein wirkliches Teamgefühl und Commitment.