Online-Handel: Das sollten Steuerberater zu OSS wissen

Eigentlich sollte der One-Stop-Shop alle Schwierigkeiten der grenzüberschreitenden Umsatzsteuer in einem Rutsch erledigen – eigentlich. Stattdessen gibt es eine Menge ungelöster Fragen, insbesondere die internationale Lagerlogisitik bringt das staatliche Projekt an seine Grenzen. Dr. Roger Gothmann, Geschäftsführer und Co-Founder der Taxdoo GmbH aus Hamburg, kennt nicht nur die aktuelle Situation genau, sondern weiß auch, wo die Tücken der Beratung liegen.

Herr Dr. Gothmann, deutsche Online-Händler*innen, die ihre Waren an Privatkunden im europäischen Ausland versenden, müssen diese Umsätze seit Mitte 2021 im Bestimmungsland versteuern, sobald die Schwelle von 10.000 Euro überschritten ist. Das One-Stop-Shop-Verfahren sollte dies erleichtern. Tut es das?

Dr. Roger Gothmann: Über den OSS können nur grenzüberschreitende B2C-Verkäufe gemeldet werden. Das bedeutet, dass alle weiteren Transaktionen wie etwa B2B-Verkäufe oder EU-Lagernutzung im Rahmen von Amazon PAN-EU oder CEE weiterhin lokal gemeldet werden müssen. Onlinehändler müssen also für diese Fälle genau wie bisher die einzelnen Steuersätze der EU-Staaten bestimmen und in ihre Prozesse integrieren können.

Roger Gothmann

Statt einer Vereinfachung laufen also jetzt zwei Prozesse parallel...

Richtig, und hierdurch entsteht das Risiko, dass Transaktionen gar nicht oder doppelt gemeldet werden, wenn die Verkäufe nicht eindeutig identifiziert und voneinander abgegrenzt werden können. Es ist sehr herausfordernd, zwei parallele Compliance-Systeme zu bedienen.

Weshalb ist die Reform so misslungen?

Zum einen ist die Plattform technisch nicht so aufgestellt, wie man das eigentlich benötigen würde. Und dies lag nicht, oder jedenfalls nicht nur, an der Pandemie, wenngleich dies als offizielle Begründung angeführt wird. Das andere, wesentliche Problem ist, dass die Reform den technologischen Stand von 2014 oder 2015 zur Basis genommen hat, da das Projekt fünf oder sechs Jahre Vorlauf benötigte.

Zu dieser Zeit gab es noch keinen Versand über Händlerplattformen aus Lagern im europäischen Ausland, sondern Händler verschickten die Waren direkt von ihrem Firmensitz aus. Zwischenzeitlich hat sich die Welt verändert, und die großen Marktplätze machen es den Onlinehändlern schwer, ihre Services, etwa des EU-weiten Lageroutsourcings, nicht zu nutzen.

Wie schlägt sich das derzeit in der Praxis nieder?

In der Form, dass das Bundeszentralamt für Steuern, das für die nationale Umsetzung von OSS in Deutschland zuständig ist, darum bittet, die Übertragung für das dritte Quartal 2021 noch einmal händisch zu machen. Inwieweit eine elektronische Schnittstelle für das vierte Quartal zur Verfügung stehen wird, ist noch offen.

Das bedeutet einen extremen Mehraufwand für Mandant*innen und Berater*innen, oder?

Man geht davon aus, dass der durchschnittliche Onlinehändler etwa fünf bis 10 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Davon entfallen etwa ein Drittel bis 40 Prozent auf das Ausland. Allein dabei die einzelnen Steuersätze der EU-Staaten zu bestimmen und in die Prozesse zu integrieren, ist manuell realistisch nicht mehr abbildbar. Von der manuellen Übertragung - also dem schlichten Eintippen in Onlinemasken - ist dabei noch gar nicht die Rede.


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Das ist zumindest theoretisch ja auch der Finanzverwaltung bewusst. Welche Ausbaustufen für OSS sind vorgesehen?

Ursprünglich war geplant, bis 2023/24 alle Umsätze über den OSS anzumelden. Doch noch fehlt für diesen nächsten Step die Zustimmung der Mitgliedsstaaten.


Hier muss man als Berater auch so ehrlich sein, sich einzugestehen, dass man im Bereich des Online-Handels eine Investitionsphase benötigt.


Wie sollten Steuerberater*innen mit der aktuellen, herausfordernden Situation umgehen?

Es ist wichtig, die Systeme so weit zu automatisieren wie es geht. Der Markt bietet Lösungen, die zum Beispiel die Daten aus dem ERP und anderen Vorsystemen ziehen und umsatzsteuerrechtlich bewerten, also zum Beispiel auch die Verfahrensrechtsunterschiede in den einzelnen Staaten in ihre Analyse mit einbeziehen.

Man kommt also um die Algorithmen nicht herum?

Aus meiner Sicht ganz klar nicht. Hier muss man als Berater auch so ehrlich sein, sich einzugestehen, dass man im Bereich des Online-Handels eine Investitionsphase benötigt. Im Unterschied zu anderen Rechtsfeldern wird eben nicht unmittelbar sofort Honorar durch Beratung mittels bestehender Kompetenz gegen Entgelt erwirtschaftet.

Die Kanzleisoftwareanbieter halten hierfür keine Lösung bereit, weshalb?

Weil sie um die Dynamik dieses Geschäftsfelds wissen und erkannt haben, dass es in diesem spezifischen Bereich sinnvoll ist, Schnittstellen für Spezialanbieter zu schaffen – wie übrigens auch in einer ganzen anderen Reihe von Aspekten. Den einen großen Software-Monolithen für alles wird es in der Zukunft kaum noch geben.


Es gibt nicht den einen E-Commerce-Mandanten, jeder Business Case ist individuell.


Woran ja letztlich vielleicht irgendwie auch OSS krankt. Was benötigen Berater*innen, die sich in der Beratung von Online-Händlern engagieren wollen noch?

Von entscheidender Bedeutung ist es, Fachwissen über das Setup des Mandanten zu haben. Es gibt nicht den einen E-Commerce-Mandanten, sondern jeder Business Case ist individuell. Am effektivsten ist es, die Prozesse gemeinsam in eine Verfahrensdokumentation zu gießen, nicht nur, aber auch im Hinblick auf eine mögliche Betriebsprüfung.

Auch dies kostet wieder Zeit und bedeutet somit ein Anfangsinvest. Ich glaube aber, dass sich dieses auszahlen wird, denn nicht nur die Bedeutung des Online-Handels wächst weiter, sondern auch die Internationalisierung. Inzwischen verkaufen etwa auf Ebay 99 Prozent über die Grenze hinweg.

Sie plädieren aber auch dafür, gegebenenfalls Mandate abzulehnen. Weshalb?

Am erfolgreichsten in der Beratung von Online-Händlern sind diejenigen, die es geschafft haben, sich eine Art Schema dafür aufzubauen. Und Mandate, die da auf absehbare Zeit nicht hineinpassen, werden nicht unbedingt zu hohen Deckungsbeiträgen führen.

Schlagworte zum Thema:  E-Commerce, Umsatzsteuer