Steuerkanzleien: Das treibt Nachwuchskräfte um

Melchior Neumann hat während seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten einen Blog für Steuernachwuchskräfte aufgebaut. Jetzt, sieben Jahre später, treibt ihn als Kanzleimanager immer noch die Frage um, was sich junge Talente von der Branche erhoffen.

Herr Neumann, vor sieben Jahren haben Sie die Webseite steuerazubi.com ins Leben gerufen, die sich an den Nachwuchs in der Steuerbranche richtet. Jetzt haben Sie der Seite einen Relaunch verpasst: Steuerazubi.com heißt jetzt steuerazubi.de. Hat sich die Seite auch inhaltlich verändert?

Ich habe die Seite und den Blog gestartet, da war ich selbst noch in Ausbildung. Die Beiträge damals würde ich als Azubi-Survival-Inhalte bezeichnen. Es ging um die erste eigene Wohnung oder um die Frage, wie man den passenden Arbeitgeber findet. Ich habe auch Forderungen aus Perspektive der Nachwuchskraft an die Kanzleien gestellt. Seit Mitte letzten Jahres bin ich selbst Mitgründer einer Kanzlei. Jetzt sitze ich im Vorstellungsgespräch auf der anderen Seite und habe damit die Möglichkeit, eine andere Perspektive auf dem Blog unterzubringen. So ist die Idee zum Relaunch entstanden. Inhaltlich soll es in Zukunft außerdem noch stärker um die technologische Entwicklung der Branche gehen, denn dieses Thema betrifft eben vor allem diejenigen, die noch viele Jahre Arbeit vor sich haben.

Melchior Neumann

Sind das auch die Themen, die die Nachwuchskräfte interessieren? Was wird auf Ihrem Blog besonders oft geklickt?

Karrierethemen werden gerne gelesen. Als junger Steuerfachangestellter steht einem die Welt offen, man hat unglaublich viele Fortbildungsmöglichkeiten und gerade die Erfahrungsberichte von Azubis, die ihren eigenen Weg gegangen sind, funktionieren gut auf dem Blog. Andere Themen wie die Suche nach einem Ausbildungsbetrieb, die Vorbereitungen auf die Prüfungen oder der Start in die Ausbildung werden dann meist passend zur Saison abgerufen.


Ganz klar, Gehalt ist ein sehr heißes Thema.


Wie sieht es aus mit dem Thema Vergütung? Das dürfte die Nachwuchskräfte bestimmt auch umtreiben?

Ganz klar, Gehalt ist ein sehr heißes Thema. Vor allem, weil es eine so große Diskrepanz gibt zwischen der Bezahlung für Steuerfachangestellte in den Kanzleien und der Bezahlung, die sie in anderen Wirtschaftszweigen, zum Beispiel der Industrie, für ihre Arbeit bekommen.

Viele Steuerkanzleien klagen über Fachkräftemangel, was können Sie den Kanzleien raten, wie können sie Bewerberinnen und Bewerber für sich gewinnen?

In unserer Kanzlei habe ich in den vergangenen sechs Monaten 20 Steuerfachleute eingestellt. Ich merke, dass gerade die jüngere Generation Wert darauflegt, eine Perspektive geboten zu bekommen. Damit meine ich nicht, dass Kanzleien den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglichen, irgendwelche Fortbildungen zu machen oder sich fachlich weiterzubilden – das ist sowieso klar - sondern dass man ihnen aufzeigt, welche Bedeutung ihre Arbeit in dem Unternehmen hat und was ihre Arbeit in der Welt bewirken soll. Es geht um eine gewisse Unternehmensvision.

Außerdem locken wir mit flachen Hierarchien, Begegnungen auf Augenhöhe und einem Mitspracherecht. Wir brauchen die Stimmen der Nachwuchskräfte, um die Branche weiterzuentwickeln, deswegen sollten sie auch die Chance bekommen, gehört zu werden. Tatsächlich haben wir viele tolle Bewerbungen bekommen von Leuten, die endlich ihre eigenen Ideen einbringen möchten.

Sie locken also mit einer Vision und flachen Hierarchien, wie sieht es mit dem Gehalt aus?

Natürlich spielt Gehalt eine große Rolle beim Recruiting. Sehr häufig habe ich in den Bewerbungsgesprächen gehört, dass Mitarbeiter in ihren Kanzleien am Umsatz beteiligt werden mit der Vorgabe, dass das Gehalt der Mitarbeiter ein Drittel des Umsatzes, den er oder sie erwirtschaftet, betragen darf. Diese Umsatzbeteiligung ist für mich keine Vision, die die Mitarbeiter motiviert und häufig ist sie unfair. Denn wer handelt die Umsätze beziehungsweise Sätze mit den Mandanten aus? Das ist selten der Steuerfachangestellte. Man kann die Leute nicht am Umsatz messen, wenn sie selbst nicht darüber entscheiden dürfen, wie mit dem Mandanten abgerechnet wird.

Ein weiteres Problem, mit dem sich die ganze Branche beschäftigen sollte, ist die schon angesprochene Diskrepanz der Bezahlung in Steuerkanzleien und anderen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise der Industrie.

Kann ihre Kanzlei denn eine gute Bezahlung bieten?

Wir zahlen im Schnitt 20 bis 30 Prozent mehr als andere Steuerberatungsgesellschaften. Das können wir uns leisten, weil wir viele Prozesse automatisiert haben. Die reine Fleißarbeit kann eine Software mittlerweile besser als eine Arbeitskraft. Je mehr ich automatisieren kann, desto eher sinkt das Stresslevel auf der Arbeit und desto eher kann ich eine höhere Bezahlung ermöglichen.  Digitalisierung und Automatisierung sind Werkzeuge gegen den Fachkräftemangel.


Jeder Steuerberater, der sich mit Prozessen, neuen Arbeitsweisen und Digitalisierung beschäftigt, betreibt  ein Fintech-Unternehmen und es gibt auch Innovationen, die von Steuerberatern kommen.


Ihre Steuerberatungsgesellschaft, die Kontist Steuerberatungsgesellschaft mbH, ist sehr digital ausgerichtet und bekommt seine aufbereiteten Buchhaltungsdaten von dem Berliner Fintech-Startup Kontist. Müssen klassische Steuerkanzleien damit rechnen, dass sie immer häufiger mit Startups aus beispielsweise dem Fintech-Bereich um Bewerberinnen und Bewerber buhlen müssen?

Diesen Konflikt, den Sie da beschreiben und den auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Steuerberatung befürchten, sehe ich nicht. Jeder Steuerberater, der sich mit Prozessen, neuen Arbeitsweisen und Digitalisierung beschäftigt, betreibt doch eigentlich ein Fintech-Unternehmen und es gibt auch Innovationen, die von Steuerberatern kommen. Aber ja, im Bereich Tax Tech tut sich einiges und gerade letztes Jahr wurde sehr viel Geld eingesammelt von Startups, die Steuertechnologielösungen anbieten. Natürlich schauen sich diesen Firmen nach Steuerfachkräften um.

Haben angehende Steuerfachleute Lust auf neue Arbeitgeber oder ist es nicht vielmehr so, dass die Branche vor allem Menschen anzieht, die besonderen Wert auf Sicherheit und klassische Arbeitsweisen und Arbeitgeber legen?

Was gibt mir in dieser Branche denn Sicherheit? Ist es das Festhalten an alten Arbeitsweisen oder nicht viel mehr das Wissen, dass ich etwas gelernt habe, was von vielen Menschen nachgefragt wird und was auch noch in Zukunft Relevanz haben wird? Wenn ich in einem Umfeld arbeite, in dem ich als Mensch wahrgenommen werde und in dem die Zukunftsaussichten gut sind, gibt mir das persönlich die meiste Sicherheit.

Sie selbst sind ein gutes Beispiel dafür, wie weit man es mit einer Ausbildung zum Steuerfachangestellten bringen kann. Was muss denn vonseiten der Ausbildungsbetriebe gegeben sein, damit angehende Steuerexpertinnen und -experten eine für sich maßgeschneiderte Karriere hinlegen können?

Zunächst einmal müssen die Kanzleien ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erklären können, was sie eigentlich tun. Das klingt trivial, aber es gibt viel zu viele Steuerberater und Steuerberatungskanzleien, die gar nicht wissen, worin ihre Expertise besteht und die als Geschäftsmodell einen ganzen Bauchladen anbieten. Für die Mitarbeiter bedeutet das, dass sie viele unterschiedliche Fälle bearbeiten müssen, fachlich sehr gefordert sind und ständig unter Zeitdruck stehen. Mit so einem Druck kann man sich nicht weiterentwickeln.

Ich würde mir zudem wünschen, dass in der Ausbildung ein technologisches Grundverständnis vermittelt wird. Die Steuerkanzlei der Zukunft ist ein Technologieunternehmen. In der offiziellen Ausbildung und auch in den Weiterbildungsangeboten finden Technologie oder Digitalisierung gar nicht statt, das müssen die Arbeitgeber ausgleichen. Ebenso sieht es mit dem Thema Kundenorientierung aus. Denn je mehr wir durch Technik automatisieren können, desto mehr können wir uns mit den Mandanten beschäftigen und wirklich beraten und desto mehr können wir dazulernen.


Zur Person

Melchior Neumann ist Steuerfachangestellter und betreut das Karriereportal Steuerazubi.de, das er 2013 gegründet hat. Nach seiner Tätigkeit für die ETL-Gruppe & KPMG hat er sich dem Thema Technologie gewidmet und im Jahr 2020 die Kontist Steuerberatungsgesellschaft mbH mitgegründet, hier ist er Kanzleimanager und Personalverantwortlicher.