Hans Maier arbeitet seit 30 Jahren in der Steuerabteilung von Bosch. Die Digitalisierung sieht der Senior Vice President als Chance für seinen Unternehmensbereich. Ein Interview über sich ändernde Anforderungen, Megatrends und den Wandel des Steuerexperten.
Herr Maier, Sie arbeiten seit 1989 bei Bosch in der Steuerabteilung, was hat sich in diesen 30 Jahren verändert?
Hans Maier: Der ganze Beruf hat sich gewandelt. Als ich zu Bosch kam, stand in der Steuerabteilung die fachliche Expertise im Vordergrund. Man war der klassische Steuerberater, der beraten hat, wenn jemand Beratungsbedarf hatte, der stark in seiner Fachsprache verhaftet war, und der nicht wirklich eng mit den Geschäften verbunden war.
Dann begann die Digitalisierung.
Und damit die Veränderung vom Tax Expert zum Tax Manager. Wir haben gemerkt, dass wir Menschen brauchen, die Geschäftsprozesse wirklich verstehen und die Ahnung von IT haben, weil diese Geschäftsprozesse in eine IT-Struktur überführt werden.
Bosch selbst entwickelt sich immer mehr in Richtung Software und Services. Das heißt, wir beschäftigen uns stärker mit digitalen Geschäftsmodellen. Dafür müssen wir neue Kompetenzen aufbauen, die ein tieferes Verständnis von IT und Digitalisierung mit sich bringen. Außerdem brauchen wir Menschen, die kommunizieren und Riskmanagement betreiben können. Wir wollen uns nicht auf unserem Expertentum ausruhen, sondern uns weiterentwickeln, um einen Wertbeitrag im Unternehmen zu leisten.
Das klingt nach einem Wandel von einem fast schon externen Dienstleister zu einem vollwertigen Teil des Unternehmens?
Als vollwertig haben wir uns natürlich immer gefühlt. Aber klar ist: Um vollwertig unterstützen zu können, reicht es nicht aus, ein Fachproblem zu lösen. Vielmehr muss die Steuerabteilung Konzepte entwickeln, die zu den Geschäftsmodellen passen. Das kann nur eine Abteilung leisten, die die Geschäftsmodelle versteht. Durch diese andere Herangehensweise entstand eine stärkere Nähe zu den Geschäftsbereichen. Gleichzeitig hat sich mit den Jahren auch die Erwartungshaltung der Operations verändert. Die Leute sagen uns heute ganz offen „Mit deinem Schreiben mit irgendwelchen Paragraphen kann ich nichts anfangen. Bitte werde konkret und sag mir, wie ich den Prozess gestalten muss, damit er steuerlich compliant ist.“
Ist die Transformation also dafür verantwortlich, dass Silos eingerissen werden?
Ja, wir arbeiten auch enger im Team miteinander zusammen. In der Steuerabteilung sind wir klassisch funktional ausgerichtet. Es gibt Experten zum Thema Umsatzsteuer, Experten für Transferpreise, einen Experten für Betriebsstätten und so weiter. Früher wurden die Experten einzeln um Rat befragt, wenn ein Geschäftsbereich ein neues Geschäftsmodell geprüft hatte. Jetzt läuft das anders ab: Wir haben ein Team aus verschiedenen Experten gebildet, die alle digitalen Geschäftsmodelle prüfen. Der Geschäftsbereich bekommt zu seinem Geschäftsmodell aus einem Guss eine Aussage zu Steuern, Zöllen und Exportkontrollen.
Die Steuerabteilung meldet sich nicht erst zu Wort, wenn es am Ende um die Deklaration geht?
Die Richtigkeit der Steuererklärung entscheidet sich in vorgelagerten Prozessen. Sie können die beste Umsatzsteuerabteilung der Welt haben, wenn die Buchungsqualität schlecht ist, wird auch die Umsatzsteuererklärung nicht gut sein.
Wir wollen die Verantwortung aber nicht nur an die Abteilungen abgeben, die für die vorgelagerten Prozesse verantwortlich sind, sondern diese Abteilungen unterstützen. Wir schauen uns gemeinsam Prozesse an und prüfen, wo Steuerthemen miteinfließen. So wissen die Prozessverantwortlichen, an welcher Stelle die Steuerabteilung involviert werden sollte. Im nächsten Schritt schauen wir uns an, wo in diesem Prozess Fehler auftauchen oder wo Risiken entstehen. Dann können wir zugunsten des Risk Managements gezielte Kontrollen aufsetzen.
Kontrollen, die wahrscheinlich nicht von Menschen ausgeführt werden sollen?
Wir wollen schon eine hohe Standardisierung erreichen und manuelle Eingaben vermeiden. Aktuell arbeiten wir gerade an Bots, die bestimmte Fragestellungen, die immer wieder aufkommen, beantworten sollen. Plant eine Abteilung zum Beispiel ein Event, kann sie dabei, wenn es um die steuerlichen Fragen geht, von einem Chatbot unterstützt werden.
Der Megatrend Künstliche Intelligenz ist bei Ihnen angekommen?
Das, was wir heute als Trend bezeichnen, ist morgen schon Alltag. Ich hatte vor zwei bis drei Jahren noch gedacht, dass ich den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Steuerabteilung nicht mehr erlebe. Jetzt haben wir schon in Ansätzen zwei Anwendungsbereiche für Künstliche Intelligenz entwickelt, die wir 2019 vertiefen wollen.
Hat Ihre Steuerabteilung die KI selbst entwickelt oder entwickeln lassen?
Die Expertise besteht aus drei Säulen: Unsere Abteilung selbst verfügt über eine gewisse IT-Kompetenz. Dann haben wir die IT-Experten bei Bosch, die innerhalb des Unternehmens nach Abteilungen gesucht haben, die mit großen Datenmengen arbeiten und die auf uns zugekommen sind. Und wir beziehen externe Berater mit ein. Insbesondere die Big Four und WTS investieren gerade stark in das Thema KI. Und es gibt Prozesse, bei denen wir auf IT-Anbieter zugehen.
Welche Chancen sehen Sie in der Automatisierung von Prozessen?
Durch die Automatisierung werden viele manuelle Aufgaben wegfallen. Die Mitarbeiter in der Steuerabteilung können sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und ihre Fähigkeiten stärker einbringen. Es kommt außerdem zu einem Wechselspiel: Durch die bessere Durchdringung der Geschäftsprozesse kann die Steuerabteilung bessere Unterstützung bieten und dadurch werden diejenigen, die den Prozess designen, für die steuerlichen Themen sensibilisiert. Wir können Steuerberatung auf einem ganz anderen Level anbieten.
Treffen Sie bei dieser Optimierung auch auf Menschen, die Angst um ihren Job haben?
Bei so einem Wandel gibt es auch Leute, die sich fragen, wie sich ihr Berufsbild ändern wird und welche Rolle sie im Unternehmen noch einnehmen können.
Wir wollen nicht jeden Steuerberater zum IT-Nerd machen.
Transformation beginnt mit Führung und im besten Fall können wir die Leute für den Wandel begeistern. Wir wollen nicht jeden Steuerberater zum IT-Nerd machen. Das klappt nicht und das muss auch gar nicht sein. Sie sollen einfach eine Offenheit und ein Verständnis bekommen. Das reicht uns schon.
Welche Rolle spielen die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bei diesem Wandel?
Im besten Fall sind die externen Berater Ideengeber und Unterstützer. Wir kaufen nicht mehr reine Tools, sondern wir kaufen die Lösung für ein Problem. Ein Teil dieser Lösung kann ein Tool sein, aber das ist nicht alles. Viele Lösungen müssen zur internen IT-Struktur passen. Dann brauchen wir ein Zusammenspiel zwischen externen Beratern und interner Kompetenz.
Welche Rolle übernimmt die Finanzverwaltung?
Wir sind völlig transparent gegenüber Finanzverwaltungen. Unsere Zukunftsvision ist, von den Prüfern Anregungen zu bekommen. Sie sagen uns, wo für sie eine konkrete Problemstellung liegt und wir entwickeln dazu die Lösung in Form eines Algorithmus. Ich glaube, diese Offenheit wird von der Finanzverwaltung auch geschätzt, allerdings wünsche ich mir von den deutschen Behörden mehr Innovationsbereitschaft. International wird die Digitalisierung in der Finanzverwaltung von einigen osteuropäischen Ländern vorangetrieben, gerade Polen ist da sehr weit, aber auch Länder wie Brasilien oder Indien. Italien geht bei der Umsatzsteuer ganz neue Wege. Unsere Rechnungen an Fiat schicken wir gar nicht mehr wir an Fiat, sondern an die italienische Finanzverwaltung.
Macht Ihnen das Angst?
Das macht uns nichts aus. Der gläserne Steuerpflichtige ist kein Abschreckungsszenario, sondern unser Ziel. Aber: Die Situation, dass eine Finanzbehörde Transparenz über unsere Zahlen hat, und wir haben diese Transparenz nicht, darf nicht eintreffen. Wir wollen mit den Finanzbehörden dieser Welt auf Augenhöhe bleiben.
Werden bei diesen ganzen Prozessautomatisierungen in Zukunft immer noch Menschen in den Steuerabteilungen arbeiten?
Ich glaube, die Steuerabteilungen werden zunehmend wichtiger, weil das Thema Steuern international immer wichtiger wird. Die Anforderungen an die Menschen, die in diesen Abteilungen arbeiten, werden deswegen auch höher und sie können nur erfüllt werden, wenn die Fachkompetenz der Steuerexperten mit einem guten Prozess und mit IT-Kompetenzen verbunden werden.
Ich glaube nicht, dass wir am Ende nur noch zehn Prozent Fachexperten in den Steuerabteilungen haben werden, den introvertierten Steuerberater brauchen wir in dieser Zukunft aber nicht.
Ich glaube nicht, dass wir am Ende nur noch zehn Prozent Fachexperten in den Steuerabteilungen haben werden, den introvertierten Steuerberater brauchen wir in dieser Zukunft aber nicht. Wir brauchen Leute, die kommunikationsstark sind, die eine Neugierde auf Prozesse und IT haben. Leute, die mit Stakeholdern gut zusammenarbeiten und die offen sind für Veränderungen.
Welche Rolle nehmen sie als Leiter in dieser Zukunft ein?
Die Rolle des Leiters einer Steuerabteilung hat sich gewandelt: Von einem fachlichen Oberaufseher zu einem Change Manager. Traditionellerweise wurde bei einer Steuerabteilung der beste Steuerexperte Leiter. Wir haben aber vor einigen Jahren gesagt, Change Manager wird man nicht ohne Leadership-Skills. Für den Leiter einer Steuerabteilung wird die Fachkompetenz also weniger wichtig und Führungsqualitäten und Kommunikationsstärken rücken in den Vordergrund.
Zur Person: Dr. Hans Maier ist Senior Vice President der Zentralabteilung Steuern und Zölle der Robert Bosch GmbH.